Besonderheiten der Internetkommunikation
Besonderheiten der Internetkommunikation
Replik: Privatwirtschaft
Hans Peter Dittler, ISOC Germany
Inhaltsverzeichnis |
Zusammenfassung
Die von Herrn Holznagel und Herrn Schumacher in ihrem Artikel gemachten einführenden Bemerkungen zur Einordnung der Internetdienste in Bezug auf die in unserem Grundgesetz enthaltenen Regeln für Kommunikationsdienste erscheinen mir größtenteils zutreffend und vollständig. Aus meiner eher technisch geprägten Sicht passen das Internet und die darin in den letzten Jahren sich ständig weiter entwickelnden Kommunikationsformen nicht unmittelbar in eine der beim Entwurf des Grundgesetzes vorgesehenen Kategorien. Damals war es sicher nicht vorstellbar, dass jeder mit jedem zu einigermaßen günstigen Konditionen kommunizieren kann und dass dabei weder geographische noch soziale Grenzen eine bestimmende Rolle spielen.
Internationale Ausrichtung des Internet
Ein entscheidender Aspekt bei allen Bemühungen, die Internetdienste in Gesetzen und Vorschriften zu regeln, ist aus meiner Sicht die internationale Auslegung der Dienste. Angebote und der Konsum der angebotenen Dienste können im Internet jederzeit und von beliebigen Standorten aus erfolgen. Eine nationalstaatliche Gesetzgebung zur Regelung scheint durch die technischen Gegebenheiten nur schwer oder gar nicht umsetzbar. Lösungen, die auf Kontrolle oder Filtern der Dateninhalte basieren, sind bei der in Deutschland derzeit vorhandenen, auf eine große Zahl von Anbietern verteilte und an vielen Orten mit dem Ausland verbundenen Struktur des Internets zum Scheitern verurteilt oder leicht zu umgehen und erzeugen gleichzeitig einen immensen technischen Aufwand und hohe Kosten.
Soweit es sich bei den ungewünschten Angeboten um allgemein geächtete Inhalte handelt, lässt sich oftmals sehr schnell erfolgreich auch über Grenzen hinweg die Einbringung ins Netz beim Verursacher oder Anbieter abschalten.
Anders stellt sich die Situation bei nur in bestimmten Regionen oder in einzelnen sozialen oder politischen Umfeldern geächteten Inhalten dar. Auch hier lassen sich im Internet nur sehr schwer einzelne Gruppen vom Zugriff auf bestimmte Inhalte ausschließen. Da sich die individuelle Kommunikation im Internet nicht wirklich kontrollieren lässt, sahen einige Staaten in letzter Zeit eine vollständige oder zumindest teilweise Unterbrechung des Interzugangs als Ultima Ratio (Ägypten, Libyen). Dabei wurde sichtbar, dass auch in diesen extremen Situationen die Menschen durch Nutzung von schnell bereitgestellten Umwegen (Weiterleitung von SMS ins Internet) weiterhin versuchen, die Kommunikationsplattform Internet zu nutzen.
Informationsfreiheit im Internet
Im Gegensatz zu den herkömmlichen Medien bedeutet Informationsfreiheit im Internet immer auch, dass Informationen in beide Richtungen ungehindert fließen können. Die klare Unterscheidung in Quelle und Senke des in Gesetzen und Regulierungen definierten Informationsflusses werden bei den im Internet heute vielfach genutzten Plattformen aufgelöst. Jeder kann beitragen und jeder kann lesen und sehen. Eine Kontrolle der Informationen findet nicht mehr durch Redaktionen oder Autoren und Lektoren statt, sondern erfolgt völlig ungeprüft und oftmals auch unreflektiert. Ob eine Information wahr ist, ob es sich um ein Missverständnis oder gar um eine vollständige Erfindung handelt, kann der Konsument nur mit seiner eigenen Entscheidungskraft und seinem Urteilsvermögen auswählen. Er kann sich dabei durch Suchmaschinen, Beiträge anderer Netzteilnehmer und vielfach auch durch Kommentare oder Zusammenfassungen redaktionell betriebener Informationsplattformen unterstützen lassen. Inwieweit der Einzelne in der Lage ist, sich anhand vollständig veröffentlichter Hintergrundinformationen und umfassender Einzelheiten (wie etwa bei WikiLeaks oder ähnlichen Plattformen) ein ausreichendes Bild zu verschaffen, um eigenständig den Wahrheitsgehalt einer Nachricht oder Aussage beurteilen zu können, mag dahingestellt bleiben.
Das "Internet-Modell" auf Basis offenen Standards
Das Internet arbeitet so, wie wir es heute kennen, weil die offenen Standards, auf denen das Netz basiert, eine Zusammenschaltung aller Teilnetzwerke ohne Barrieren oder Hürden erlauben. Dieses sogenannte „Internet-Modell“ macht es möglich, dass jedermann Inhalte und Dienste anbieten oder Produkte verkaufen kann, ohne dass er dazu die Erlaubnis einer zentralen Instanz wie etwa dem Netzbetreiber haben müsste. Das „Internet-Modell“ eröffnet einen für jeden gleichwertigen Zugang zur ganzen Welt. Es ist der auslösende Faktor für die reichhaltige Auswahl an Angeboten und Diensten, die wir heute im Internet antreffen und nutzen.
Das Internet stellt in diesem Modell die direkte und freie Kommunikation zwischen den Endteilnehmern in den Vordergrund. Auch wenn bei den derzeit stark frequentierten Angeboten von Plattformen für bestimmte mehr oder weniger offene Gruppen (Social Networks) oftmals ein zentral angebotener Dienst in den Mittelpunkt rückt, basieren auch sie auf dem ungehinderten Fluss der Informationen im Netz.
Fazit
Regelungen und Vorschriften durch den Staat sollten mit viel Feingefühl und nur sehr vorsichtig Zug um Zug erfolgen. Falls die Kräfte des Marktes nicht ausreichen, um eine allgemein ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Zugang zum Internet sicherzustellen, kann es durchaus Sinn machen, regulierend und lenkend einzugreifen.
Ob eine Anpassung oder Erweiterung des Grundgesetzes mit Hinsicht auf neue Kommunikationsformen notwendig ist oder ob höchstrichterliche Entscheidungen und Auslegungen ausreichen, um mit der modernen technischen Entwicklung standzuhalten, müssen Andere, mit juristischem Hintergrund entscheiden. Aus meiner Sicht ist das Grundgesetz darauf ausgelegt, langfristige Richtlinien zu geben, und sollte nicht auf kurzlebige Moden im Internet ausgerichtet werden.
Selbst eine Anpassung von normalen Gesetzen und Verordnungen wird dem Tempo der Entwicklung im Internet nicht gerecht. Die technische Entwicklung und die Veränderung der Nutzung des Internets schreiten viel rascher voran, als irgendein Gesetzgebungsprozess dem folgen könnte. Es bleibt also vor allem der Bedarf, die Rechte und Pflichten der Konsumenten und Anbieter von Diensten und Inhalten, die sie im Internet anbieten, zu stärken und klarer zu definieren. Vor allem der Schutz von persönlichen Daten und der oft noch viel zu lockere Umgang damit aufseiten der Anbieter sollten im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.