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Bestehende staatliche Regelungsinstrumente neu justieren

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MIND #3
Grenzen der Internetfreiheit
Inhaltsverzeichnis
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Replik: Parlament und Regierung

Matthias Traimer, Bundeskanzleramt Wien

Kernaussage
Das Internet als kommunikationsrechtliche „Sondermaterie“ zu qualifizieren ist gefährlich für die Meinungs- und Informationsfreiheit, welche unabhängig von den Kommunikationsmitteln Bestand haben muss.

Bestehende staatliche Reglungsinstrumente neu justieren

Ehrlich gesagt: Es fällt mir nicht leicht, auf den Beitrag von Rolf H. Weber zu replizieren. Zum einen, weil der Inhalt korrekt und prägnant die rechtlichen Grenzen für den Staat aufzeigt, wenn dieser die Kommunikation über das Internet beschränken will. Zum anderen verstehe ich nicht wirklich, warum Weber den Titel des Beitrags in Form einer Fragestellung gewählt hat. Ob es Grenzen für den Staat gibt, in Kommunikationsprozesse, die über das Internet erfolgen, einzugreifen, erscheint mir so, als würde man hinterfragen, ob sich derjenige, der das Internet nutzt, an die Rechtsordnung zu halten habe.

Wie weit Beschränkungen der Internetfreiheit zulässig sind, hängt vornehmlich davon ab, inwieweit die Rechtsordnung Kommunikationsfreiheit gewährleistet. Niemand bestreitet, dass es entsprechende internationale Freiheitsgarantien gibt – dazu gleich im Weiteren. Vorab sei aber darauf hinzuweisen, dass es auf rein zwischenstaatlicher Ebene – also nicht im Verhältnis Staat–Individuum – bis heute kein verbindliches Prinzip des freien internationalen Informationsflusses gibt, was zur Konsequenz hat, dass auch kein weltweit anerkanntes Prinzip der Internetfreiheit festzumachen ist. Die Problematik als solche geht schon auf die Siebziger- und frühen Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts zurück. Vom Internet in seiner heutigen Form war damals noch keine Rede, doch prallten die Positionen der Verteidigung staatlicher Souve-ränität (in Form des sogenannten prior consent-Prinzips)[1] einerseits und der Forderung nach einem freien internationalen Informationsfluss andererseits mit dem Aufkommen des Satellitenfernsehens aufeinander. Während das prior consent-Prinzip im internationalen Fernmelderecht (Art. 34 ITU-Konstitution) verankert ist, gibt es bis heute keine universell geltende völkervertragliche oder -gewohnheitsrechtliche Festlegung eines die Staaten bindenden „free flow of information“- Grundsatzes.[2] Die von Weber unter Punkt 3. genannten völkerrechtlichen Grundprinzipien (z.B. das Rücksichtnahme- und Vorsorgeprinzip) sind wichtige Bausteine bei weiteren Bemühungen um den freien Informationsfluss auf Ebene des Internets. In der Praxis hängen allerdings die völkerrechtlich garantierte Freiheit zur Kommunikation als Menschenrecht und der zwischenstaatliche Grundsatz des „free flow of information“ eng zusammen. Die Verpflichtung der Staaten, den Individuen die Ausübung ihrer Äußerungs- und Informationsfreiheit zu garantieren, bewirkt, dass der freie – auch grenzüberschreitende – Informationsfluss nur ausnahmsweise – eben im Rahmen der Schrankenvorbehalte – begrenzt werden darf.[3]

Natürlich wäre es realitätsfern zu behaupten, dass sich Staaten stets an die ihnen rechtlich auferlegten Schranken halten. Das ist aber eine andere Frage, als die im Titel des Beitrags gestellte. Im Anwendungsbereich der EMRK und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) kann kein Zweifel bestehen, dass es Schranken für staatliche Eingriffe in die Äußerungs- und Informationsfreiheit gibt. Diese sogenannten „Schranken-Schranken“ sind, wie Weber richtig ausführt, vor allem das Gebot der Legitimation des Eingriffs durch Gesetz sowie die Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Diesbezüglich gibt es im Hinblick auf die EMRK eine Fülle an Judikatur von EGMR und nationalen Höchstgerichten. Bekannt ist, dass Art. 19 IPbpR in seiner praktischen Wirkung nicht mit Art. 10 EMRK vergleichbar ist, weil für den Pakt das internationale Rechtsschutzinstrumentarium der Konvention nicht existiert. Dass durch den Pakt aber die Grenze der Verhältnismäßigkeit sowie eine gesetzliche Grundlage für jeden Eingriff ebenso verbindliche Schranken-Schranken sind, ist geltendes Völkerrecht.[4]

Es ist keineswegs überraschend, dass es auch für Kommunikationsvorgänge über das Internet staatliche Beschränkungen gibt – aber auch geben muss! Dass die Meinungsfreiheit nicht absolut geschützt ist, sondern im Einzelfall nach entsprechender Abwägung vor anderen Grundrechtspositionen (wie vor allem den Rechten auf Privatheit oder geistiges Eigentum) oder Zielen des Allgemeininteresses zurückzutreten hat, ist ebenso juristisches Allgemeingut wie die Tatsache, dass jede freiheitsbezogene Einschränkung wiederum Schranken unterliegt. Die – wie Weber es bezeichnend nennt – „regulatorischen Freiheitsträume“ mancher zu Beginn des digitalen Medienzeitalters, im Internet eine neue Welt ohne rechtliche Grenzen zu sehen, waren von Anfang an ein Irrglaube. Völlig zutreffend mahnte Alvar Freude in der ersten Ausgabe der vorliegenden Publikation ein, dass das Internet nicht als „merkwürdiges, gefährliches Gebilde“ anzusehen ist, das es besonders zu regulieren gelte – denn ein rechtsfreier Raum wäre das Internet noch nie gewesen.[5] Kommunikation, die über das Internet geschieht bzw. dessen Infrastruktur betrifft, gleichsam als kommunikationsrechtliche „Sondermaterie“ zu qualifizieren, ist gefährlich: gefährlich für die Garantie der Meinungs- und Informationsfreiheit, die als zentrales Element der demokratischen Gesellschaft unabhängig von den verwendeten Kommunikationsmitteln Bestand haben muss.

Bei der Debatte um die Internetfreiheit geht es also um das Substrat der Menschenrechte an sich. So wie durch die Globalität des Internets Verletzungen der Freiheitssphäre seiner Nutzer global offensichtlich werden, wird auch die Rechtfertigung staatlicher Eingriffe verstärkt global diskutiert. Die Qualität der Eingriffslegitimation für den Staat ist nun einmal die quaestio famosa im Grund- und Menschenrechtsbereich. Das Problem ist keineswegs neu, wird uns aber in seiner internationalen Dimension durch die tägliche Nutzung des Internets durch Millionen von Menschen erst so richtig bewusst.

Weber fragt, ob der sogenannte „Wesensgehalt“ eines Grundrechts eine eigenständige Schranken-Schranke für Eingriffe bildet. Auch hier ist nicht das Problem, ob der Kernbereich eines Grundrechts vor Aushöhlung zu schützen ist (natürlich ist er das), sondern ob sich materiell ein gemeinsames Verständnis hinsichtlich des unantastbaren Gehalts eines Grund- und Menschenrechts finden lässt, der absolut vor staatlichen Interventionen geschützt ist. Auf internationaler, aber auch europäischer Ebene ist das ein schwieriges Unterfangen, sind doch allein die Verfassungsordnungen in Europa bereits durchaus heterogen. Die österreichische enthält beispielsweise im Unterschied zur deutschen oder schweizerischen Verfassung keine ausdrückliche Regelung zum Wesensgehalt. Für den österreichischen Verfassungsgerichtshof[6] wird der Wesensgehalt der Meinungsfreiheit vielmehr durch die in Art 10 Abs. 2 EMRK festgelegten Eingriffsvoraussetzungen (Gesetz, legitimes Ziel, Verhältnismäßigkeit) „näher bestimmt“ (VfSlg 10.700/1985). Wie in Deutschland ist auch nach der österreichischen Bundesverfassung jede Maßnahme der Vorzensur absolut verboten, nach der Rechtsprechung des EGMR sind sogenannte „prior restraints“ hingegen nicht vollkommen ausgeschlossen.[7]

Die von Weber aufgeworfenen Fragen zielen auf die menschenrechtlichen „No-Goes“ für Staaten bei Eingriffen in die Internetkommunikation ab. Dazu fallen einem genügend „bad practice“-Beispiele ein – wie etwa das Blocken und Filtern von Inhalten, die Sperre von Websites, Überwachungsmaßnahmen gegenüber Nutzern, Einschleichen in Datenbestände etc. Zur Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in die Grund- und Freiheitsrechte sind jedoch auch im Internetzeitalter die Einzelfallbetrachtung und Güterabwägung unverzichtbar. Das soll die Nützlichkeit von Initiativen, welche die Grundsätze der Internetfreiheit im Sinne eines menschenrechtlichen Verständnisses allgemein herausarbeiten und international forcieren wollen, aber nicht mindern.[8] Auch vermögen einzelne Fälle aus der Judikatur dazu beitragen, dass sich das eine oder andere verallgemeinerungsfähige Prinzip entwickelt: Das von Weber zitierte Beispiel der Unvereinbarkeit einer generellen Überwachungspflicht von Providern hinsichtlich Nutzerinhalten mit der Informationsfreiheit hat mittlerweile durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU (u.a. zu Art 11 GRC) eine praktische Umsetzung erfahren.[9] Ob es allerdings je gelingen wird, einen völkerrechtlich verbindlichen Konsens speziell zur Internetfreiheit zu finden, bleibt abzuwarten.

Angesprochen wird schließlich der Aspekt der sogenannten „positiven Schutzpflichten“ des Staates. Wo ist die Grenze (noch) zulässiger staatlicher Passivität, wenn Private die Äuße-rungs- und Informationsfreiheit anderer Privater behindern oder verunmöglichen? Der EGMR hat in den letzten Jahren wiederholt ausgesprochen, dass Art. 10 EMRK sich nicht auf die Verhinderung unzulässiger staatlicher Eingriffe beschränkt, sondern – freilich immer im Hin-blick auf den speziellen Einzelfall – vom Staat auch aktive Handlungspflichten zur Freiheits-gewährleistung einfordert. Rechtsdogmatisch geht es dabei um bereits viel diskutierte Fragen zu grundrechtlichen Schutz- und Gewährleistungspflichten und zur Drittwirkung. Dabei handelt es sich etwa um Fälle tätlicher Angriffe von Privaten auf andere Private und die Unterlassung staatlicher Schutzpflichten,[10] oder auch um die Nichtberücksichtigung grundrechtlicher Positionen bei privatrechtlichen Rechtsstreitigkeiten.[11] Gerade in Bezug auf die Internetkommunikation könnte sich die Debatte um positive Gewährleistungspflichten verstärken. Beispielsweise wird die Sicherung des Schutzes der journalistischen Quellen (Redaktionsgeheimnis) als eine dem Staat zukommende aktive Aufgabe betrachtet, die in Art. 10 EMRK ihre Grundlage hat.[12] Doch wem ist dieser Schutz im heutigen digitalen Kommunikationsumfeld einzuräumen? Nur wie bislang – und z.B. in § 53 der deutschen StPO – nur den professionellen Journalisten, oder aber auch nicht berufsmäßigen, privaten Bloggern und Postern auf Internetseiten und Plattformen? Wer von den Akteuren im Internet nimmt eine zur Presse vergleichbare „public watchdog“-Funktion ein, bei welcher der Staat besondere Zurückhaltung bei Eingriffen in die Freiheit zu üben hat? Auch hier spielt wieder die Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit die entscheidende Rolle: Die öffentlichen Äußerungen einer Privatperson zu bestimmten Missständen von allgemeinem Interesse auf einer Internetplattform können bewirken, dass diese Person als sogenannter „Whistleblower“ qualifiziert wird, dessen Meinungsfreiheit im Hinblick auf allfällige Beschränkungen erhöhter Schutz zukommt.

Auch aus letztgenannten Bemerkungen zeigt sich: Ob es Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit gibt, ist längst nicht mehr die Frage. Das in den Verfassungsordnungen demokratischer Staaten und auf Ebene des Völkerrechts festgeschriebene System der Grund-, Freiheits- und Menschenrechte ist unverzichtbare Grundlage für jegliche Form freier Kommunikation, sei es über das Internet oder andere Verbreitungswege. Diese Freiheitsrechte – welchen das System der restriktiven und am Maßstab einer demokratischen Gesellschaft zu messenden Eingriffsmöglichkeit immanent ist – gilt es stets von Neuem zu betonen, seien die technischen Kommunikationsentwicklungen auch noch so revolutionär. Der Weg, „anerkannte Schranken hinsichtlich einzelstaatlicher Beschränkungen festzulegen“, wird seit Langem beschritten, die Wegmarken sind durchaus gesetzt. Dass sie heute auch digital leuchten, zwingt nicht dazu, sie neu zu erfinden.


  1. Darunter versteht man, dass die Ausstrahlung von Rundfunksendungen in ein fremdes Staatsgebiet von der vorherigen Zustimmung des Empfangsstaates abhängig ist.
  2. Fink/Cole/Keber, Europäisches und Internationales Medienrecht (2008), Rz 216.
  3. So Heer-Reißmann/Dörr/Schüller in Dörr/Kreile/Cole (Hrsg.), Handbuch Medienrecht, Rn B 4.
  4. Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll (1989), 371 ff.
  5. Alvar Freude, Das Internet und die Demokratisierung der Öffentlichkeit, in Kleinwächter (Hrsg.), Grundrecht Internetfreiheit, MIND/1 (2011), Rz 46. Wunderbar dort die Formulierung, das Internet sei „Telefon, Rundfunk, Zeitung und Flugblatt, Stammtisch und Eckkneipe, Uni-Vorlesung und Talkshow, Kaufhaus und Bibliothek, Zeitschrift und Videothek“ in einem.
  6. Insbesondere in seiner älteren Judikatur hat der VfGH den Begriff der Wesensgehaltssperre im Zusammenhang mit soge-nannten formellen Gesetzesvorbehalten entwickelt. Seitdem die EMRK Bestandteil des österreichischen Bundesverfassungs-rechts ist, (Art II Z 7 BVG BGBl 69/1964) werden Grundrechtseingriffe vornehmlich an deren materiellen Gesetzesvorbehalten geprüft. Absolut – weil verfassungsrechtlich speziell verboten – sind die Vorzensur und ein Konzessionsverbot für die Presse.
  7. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention (2012), § 23 Z 39.
  8. Etwa die Empfehlung des Europarats vom 21. September 2011, CM/Rec (2011)8, “of the Committee of Ministers to member states on the protection and promotion of the universality, integrity and openness of the Internet”; ebenso laufende Multi-stakeholder-Prozesse wie das Internet Governance Forum (IGF) oder der European Dialogue on Internet Governance (Euro-DIG).
  9. EuGH 24.11.2011, C 70/10, Scarlet Extended.
  10. ZB EGMR, Özgür Gündem/TR v. 16.3.2000; Dink/Türkei v. 14.09.2010.
  11. EGMR, Heinisch/DE v. 21.7.2011.
  12. Grundlegend EGMR Goodwin/UK v. 27.3.1996.
Autoren
Mohamed Hamzé
Sebastian Haselbeck
Mohamed Hamzé
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