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Das Internet: Werkzeug der Demokratie, Abbild der realen Welt

Das Internet: Werkzeug der Demokratie, Abbild der realen Welt

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Andreas Krisch, Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) Wien


Die Demokratie ist diejenige Staatsform, die Menschenrechte zu Grundrechten macht, zu Rechten aller ihrer Bürgerinnen und Bürger und diese institutionell (Rechts- und Sozialstaatlichkeit) sichert,

schreibt Prof. Nida-Rümelin in seinem Beitrag.

Versteht man das Wort „diejenige“ als einschränkendes Attribut im Sinne von „die einzige“, erscheint diese Fest-stellung doch etwas zu pauschalisierend. So mag es auf diesem Planeten einerseits auch Beispiele anderer Staatsformen (wie z.B. die eine oder andere Monarchie) geben, die Menschenrechte zu Grundrechten machten. Andererseits ist das bloße Vorhandensein von Demokratie leider noch kein Garant für die Sicherung der Menschen- bzw. Grundrechte. Man denke beispielsweise an das von einer Demokratie eingerichtete Gefangenenlager Guantanamo Bay, dessen Insassen seit mittlerweile mehr als zehn Jahren ihr Menschenrecht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren verweigert wird.


Da die Demokratie die äußere Form einer politischen Praxis ist, die Menschenrechte achtet, ist sie zugleich die einzige Staatsform, die ohne eine aktive Zivilgesellschaft nicht lebensfähig ist, ja die ein wechselseitiges Stützungsverhältnis eingehen muss zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Für andere Staats- und Regierungs-formen ist Bürgerengagement eine Bedrohung. Dies ist die eigentliche Stärke der Demokratie, die in diesen Monaten wieder deutlich geworden ist

so Prof. Nida-Rümelin weiter. Diesem Teil der These kann ich durchaus zustimmen. Insbesondere da das angesprochene „Stützungsverhältnis“ zwischen Staat und Zivilgesellschaft in der Praxis oftmals bedeutet, dass es die Zivilgesellschaft ist, die den staatlichen Institutionen und Repräsentanten die Grenzen des grund- und menschenrechtlich Vertretbaren aufzeigen muss. Unter dem Vorwand der öffentlichen Sicherheit haben lupenreine Demokratien in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Maßnahmen zur Überwachung der elektronischen Kommunikations-, Informations- und Datenverarbeitungssysteme ergriffen. So wird beispielsweise im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsverkehrsdaten minutiös mitprotokolliert, wer wann mit wem von welchem Ort aus kommuniziert, eine E-Mail schreibt oder sich mit dem Internet verbindet. Die Daten unseres Zahlungsverkehrs (Stichwort: SWIFT) werden weitgehend unkontrollierbar an Drittstaaten weitergegeben und unsere Reisebewegungen sollen künftig auch innerhalb Europas dauerhaft aufgezeichnet, überwacht und ausgewertet werden. Oftmals ist es engagierten Kräften der Zivilgesellschaft zu verdanken, wenn derartige Maßnahmen wieder eingeschränkt[1] oder ganz zurückgenommen werden. In manchen Fällen – wie etwa bei ACTA[2] – gelingt es, Fehlentwicklungen rechtzeitig hintanzuhalten. Mit den Argumenten von Prof. Nida-Rümelin dafür, dass der Zugang zum Internet an sich ein Menschenrecht sein könnte, stimme ich weitestgehend überein. Als sicher erscheint mir darüber hinaus die grundlegende Bedeutung des Internets für die weitere Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der Demokratie. Eingriffe in diese wesentliche Kommunikationsinfrastruktur – wie im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung – stehen nämlich nicht nur im Konflikt mit den Grund- und Menschenrechten[3], sondern bedrohen auch das Funktionieren der Demokratie. In dem Augenblick, in dem der Einzelne nicht mehr frei und unbeobachtet kommunizieren kann – oder zumindest den Eindruck gewinnt, dies nicht mehr zu können –, in dem Augenblick ist es ihm auch nicht mehr möglich, sich unabhängig von anderen eine freie Meinung zu bilden und sich frei und ohne Zwang an demokratischen Prozessen zu beteiligen. Dies führt in weiterer Folge zwangsläufig zu einer Einschränkung der zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Das von Prof. Nida-Rümelin angesprochene „Stützungsverhältnis“ zwischen Staat und Zivilgesellschaft gerät aus dem Gleichgewicht und die Demokratie verliert ihre Existenzgrundlage. Aus diesem Grund ist es aus demokratiepolitischer Sicht mehr als nur geboten, die vorherrschenden Überwa-chungsgelüste zurückzudrängen und dafür zu sorgen, dass die wesentlichen Charakteristika des Internets – wie beispielsweise die Netzneutralität – erhalten bleiben. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass den Menschen von jedem beliebigen Ort aus dieselben Möglichkeiten zur Teilhabe am Internet und an seiner Mitgestaltung zur Verfügung stehen. Diese Eigenschaft ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren des Mediums. Die bevorzugte Behandlung von Inhalten auf Basis welcher Kriterien auch immer steht dem diametral entgegen und schränkt die Möglichkeiten des Einzelnen zugunsten der kommerziellen Interessen weniger Anbieter über Gebühr ein. Seinen Beitrag beschließt Prof. Nida-Rümelin mit dem Appell,

nicht zuzulassen, dass die Möglichkeiten des Internets zu einer gefährlichen kulturellen Regression, zur Inhumanität des Umgangs miteinander unter dem Schutz der Anonymität, zur Ausgrenzung Andersdenkender, zu Hassaufrufen, zum Verfall der Zivilgesellschaft führen und damit die kulturellen Grundlagen der Demokratie zerstören.
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Andreas Krisch ist Wirtschaftsinformatiker und ausgebildeter Datenschutzbeauftragter. Er berät u.a. den Europarat, die OECD und die Europäische Kommission in Datenschutzfragen als Experte zu RFID, Smart Grids und dem Internet der Dinge. Er ist Präsident von European Digital Rights und Obmann des VIBE!AT. Krisch ist Geschäftsführer der mksult GmbH, die das Datenschutzportal unwatched.org betreibt.


Die Argumentation, die ihn zu diesem Appell führt, halte ich für eine folgenschwere Fehleinschätzung. Meines Erachtens sind die angesprochenen Darstellungen von Gewalt und Grausamkeiten bis hin zum Mobbing keineswegs Phänomene des Internets. Da Menschen stets real existieren, ist die Kommunikation über das Internet gleichfalls ein Abbild der Gesellschaft. Ebenso wie in der „realen Welt“ ist es auch im Internet nicht die Überwachung, die zu sozial erwünschtem Verhalten führen kann, sondern die Durchsetzung sozialer Normen durch die jeweilige soziale Gruppe. Jeder von uns ist – insbesondere in Städten, aber durchaus auch im ländlichen Raum – im täglichen Leben regelmäßig mit Anonymität konfrontiert. Wir weisen keinen Ausweis vor, wenn wir morgens auf dem Weg zur Arbeit andere Menschen treffen. Am Telefon steht es uns frei, unseren eigenen oder einen frei erfundenen Namen zu nennen. Sogar gegenüber Ämtern und Behörden muss man nur in begründeten Fällen seine Identität nachweisen und erhält in vielen Fällen völlig anonym die gewünschte Auskunft. Dennoch verhalten sich die meisten Menschen bei all diesen Gelegenheiten so, wie es allgemein anerkannten Verhaltensregeln entspricht. Und dies nicht, weil an der nächsten Ecke ein gestrenger Polizist wartet, der jegliches Fehlverhalten sofort sanktioniert. Vielmehr reichen die sozialen Sanktionsmöglichkeiten der anderen Beteiligten vollkommen aus, um diesen Effekt zu erzielen. Spielt die grundsätzliche juristische Durchsetzbarkeit dabei eine Rolle? Natürlich. Aber es ist nicht eine allgegenwärtige Überwachungsmöglichkeit, die zur Konformität zwingt, sondern die Macht der Gruppe, die darin besteht, dass der Einzelne immer auch einen Nutzen aus der Gemeinschaft zieht und daher vom konformen Verhalten unmittelbar profitiert. Wollen wir die von Prof. Nida-Rümelin angesprochenen Probleme wie eine Inhumanität des Umgangs miteinander oder die Ausgrenzung Andersdenkender und diverse Hassaufrufe lösen, müssen wir in unseren Bildungssystemen und in der täglichen Lebensrealität der Menschen ansetzen. Der von ihm angesprochene „Verfall der Zivilgesellschaft“ findet nicht im Internet, sondern mehr noch in der realen physischen Welt statt. Dort sollten wir ihm entgegentreten, anstatt sein Abbild im Internet mit Überwachungsmaßnahmen zu unterdrücken.


  1. Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 256/08 vom 02.03.2010, konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung nicht verfassungsgemäß, http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html.
  2. „Es ist vorbei: ACTA wurde zu Grabe getragen!“, unwatched.org – Das Datenschutzportal, 04.06.2012, https://www.unwatched.org/20120704_Es_ist_vorbei_ACTA_wurde_zu_Grabe_getragen.
  3. Siehe zur Grund- und Menschenrechtsproblematik der Vorratsdatenspeicherung ausführlich den Individualantrag von 11.139 Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern an den österreichischen Verfassungsgerichtshof http://www.verfassungsklage.at/files/120615_IA_VDS_Konsolidierte_Fassung.pdf.
Autoren
Lorena Jaume-Palasi
Lorena Jaume-Palasi
Sebastian Haselbeck
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