Das Internet als Chance für das Weltbürgertum
Das Internet als Chance für das Weltbürgertum
Dirk Krischenowski, Internet Society (ISOC) Deutschland
Das Internet ist eine stille Revolution, in deren tiefem Wasser die Digital Natives, wie die heranwachsende Generation auch genannt wird, wie Babys von Anfang an schwimmen können. Und weil sie jeden Tag darin üben, haben sie gelernt, sogar schwimmend mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen, in einer Welt, in der sich alles verflüssigt hat und beständig in Bewegung ist. Nida-Rümelin ist kein Digital Native, er gehört zu den Alten in Deutschland, die das Internet als gefährlich empfinden, weil sie das Schwimmen erst lernen mussten. Doch sie kommen nicht mit, wenn es im liquiden Medium stürmisch wird oder man tauchen können muss. Nida-Rümelin ist ein Digital Immigrant.
Ben Scott, Senior Advisor am Open Technology Institute der New America Foundation in Washington DC und vormals Berater im US State Department bei Hillary Clinton für Fragen der Außen- und Netzpolitik, brachte das Thema im vergangenen Jahr in seinem Vortrag auf den Punkt. Zu viele Deutsche meinen: „The Internet is a dark and scary place“, und möchten es lieber auf der Stelle abschaffen, weil die Gefahren stärker ins Gewicht fallen als der Nutzen. Anders in den USA, wo auch digitale Immigranten und Politiker das Internet als Chance begreifen und Raum für das Scheitern von Ideen im Internet geben.
Beispielhaft sei dies an der von Nida-Rümelin angeführten kulturellen Regression durch das Internet belegt, die den Hauptteil seiner Nachtseite des Internets darstellt. So neu sind sie eben nicht, die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit instabilem Charakter, und mehr geworden auch nicht. Früher haben sie sich versteckt oder wurden versteckt oder gemobbt und begingen in der Folge aus Verzweiflung Selbstmord. Anders ist, dass dies heute öffentlicher geschieht und eine Chance beinhaltet, die wir alle nutzen sollen, um diesen Menschen zu helfen.
Unverständlich erscheint mir die Diskussion um das Menschenrecht auf einen Internetzugang. In unserer westlichen Welt kann praktisch fast jeder das Internet ohne nennenswerte Kosten nutzen. Und an welcher Stelle steht eigentlich das Menschenrecht am Internet, wenn doch große Teile der Weltbevölkerung nicht einmal sauberes Wasser, Strom, medizinische Versorgung oder Bildung haben? Darf man dann einem in Not geratenen Bürger in unserem Land das Wasser und den Strom abstellen, aber das Internet nicht? Insgesamt ist der Artikel angenehm zu lesen für den digitalen Neuling, Zugereisten oder Immigranten, nicht dagegen für die Generation der Ureinwohner im Internet. Für sie, die mit dem Internet aufgewachsen sind oder derzeit aufwachsen, ist er quasi nichtssagend, eher wieder einmal eine Schimpfe durch die Alten, dass früher fast alles besser war und man sich an der Vergangenheit ein Beispiel nehmen solle.
Der abschließende Appell, verschiedene „gefährliche“ Dinge im Internet nicht zuzulassen, um nicht letzten Endes die kulturellen Grundlagen der Demokratie zu zerstören, geht meines Erachtens fehl, fügt sich in das deutsche „Dark and scary place“-Muster ein und ist ein Wunsch, der vom Alltag und der nach Internetpionier Vint Cerf erst noch bevorstehenden 99 % der Internetrevolution schlicht hinweggespült wird. Die Zivilgesellschaft wird trotzdem nicht zerfallen und unsere Demokratie nicht untergehen, eher das Gegenteil dürfte der Fall sein.
Trotz aller Kritik findet Nida-Rümelin doch noch einen Silberstreif am Horizont, indem er dem Internet zumindest die Chance einräumt, die Konturen der Weltzivilgesellschaft zu entwickeln und einen über die Internetkommunikation etablierten Weltbürger entstehen zu lassen. Bravo!