Das wehrhafte Netz
Das wehrhafte Netz
Replik: Privatsektor
Oliver Süme, eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V.
Kernaussage
Die Freiheit im Internet wird durch mehrere Verteidigungslinien geschützt: den staatlichen Auftrag, Freiheit sicherzustellen, und das Verbot unverhältnismäßiger Grund-rechtseingriffe. Zu guter Letzt – sollten diese Linien fallen und echte Eingriffe in die Freiheit drohen – durch wehrhafte Bürger, die sich ihre Freiheiten nicht nehmen lassen
Das wehrhafte Netz
Gibt es Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit? Diese Leitfrage beantwortet Professor Weber nach gründlicher Untersuchung mit einem etwas zaghaften Ja: Die Grundrechte, insbesondere das Grundrecht auf Informationsfreiheit, könnten allzu weit gehenden Eingriffe des Staates in der Internetkommunikation entgegenstehen.
Aus Sicht der Internetwirtschaft ist nun dieses Ergebnis zum einen sehr zu begrüßen – zum anderen aber keineswegs überraschend. Verblüffend ist eher die Zurückhaltung, die der Autor an den Tag legt. Viele Formulierungen sind so vorsichtig gewählt und das Untersuchungsniveau so abstrakt, dass als Gesamteindruck bleibt, auch demokratische Staaten hätten große Möglichkeiten zur Internetmanipulation. Man kann es in aller Deutlichkeit sagen: Dem ist ganz sicher nicht so!
Es lohnt sich daher wohl, den Überlegungen von Professor Weber einige Fälle aus der Praxis an die Seite zu stellen, um eventuelle Zweifel zu beseitigen. Ein erster Blick soll dabei den Internetsperren gelten, also der Zwangsumleitung eines Netznutzers auf eine andere Website als die, die er eigentlich besuchen wollte. Nach Ansicht verschiedener Interessengruppen – nicht zuletzt mancher Politiker – ließe sich damit manch Unheil beheben: In Deutschland sollte dieser Wiedergänger der Netzpolitik bereits gegen kinderpornografische Darstellungen, rechtswidrige Glücksspielseiten, gegen Hetzpropaganda und gegen im Internet begangene Wettbewerbsrechtsverstöße zum Einsatz kommen. Es ist geradezu erstaunlich, wie dieses Thema alle Jahre wieder neu auf die Agenda kommt, obwohl mittlerweile jeder Sachverständige auswendig herunterrattern kann, warum Netzsperren völlig sinnlos sind: Sie sind technisch einfach zu umgehen, sodass jeder Interessierte seine Zielseite trotzdem problemlos erreicht. Und sie wirken überhaupt nicht gegen den eigentlichen Rechtsverstoß, denn die Inhalte bleiben unverändert und für jeden erreichbar im Netz stehen.
Die Liste der technischen Gegenargumente ist noch erheblich länger. Sie allein müssten jeden unvoreingenommenen Betrachter vom Aberwitz entsprechender Pläne überzeugen. Doch uns interessieren hier in erster Linie die rechtlichen Aspekte des Themas. Mit deren Geschichte allein kann man zirka 30 eng beschriebene Druckseiten füllen. Diese Aufgabe haben die Rechtsanwälte Dr. Matthias Frey, Dr. Matthias Rudolph und Dr. Jan Oster jüngst im Auftrag von eco, dem Verband der deutschen Internetwirtschaft, übernommen. In ihrem Gutachten „Internetsperren und der Schutz der Kommunikation im Internet“[1] zeichnen sie die vielfältigen Versuche nach, eine entsprechende Struktur in Deutschland zu schaffen – keiner davon war erfolgreich.
Bemerkenswert ist dies, weil unterschiedlichste Rechtsgrundlagen für Sperren herangezogen werden sollten. Keine davon hat sich in der Praxis als tragfähig erwiesen. Der Glücksspielstaatsvertrag, über den die Bundesländer gegen nicht in Deutschland versteuertes Glücksspiel vorgehen möchten, verstößt gegen EU-Recht. Auch gegen Tauschportale sollten Netzsperren schon zum Einsatz kommen, und hier folgt die deutsche Rechtsprechung der Argumentation von Professor Weber: Ohne Gesetz, das diese Maßnahme ausdrücklich vorsieht, sind Grundrechtseingriffe nicht gestattet.
Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte das Thema jedoch nicht durch Glücksspiel oder Raubkopien. Das Zugangserschwerungsgesetz, das kinderpornografisches Material in einem rechtsstaatlich höchst fragwürdigen Verfahren blockieren sollte, stellt auch rechtlich den interessantesten Fall dar: Denn hier wurde erstmalig in Deutschland ein Gesetz erlassen, das gezielt die Kommunikationsfreiheit im Internet einschränken sollte – der Grundrechtseingriff wäre also erstmalig rechtlich legitimiert gewesen. Der Verlauf der Geschichte jedoch ist bekannt: Die Welle der Empörung führte dazu, dass die Bundesregierung beschloss, das bereits erlassene Gesetz nicht anzuwenden, und es zirka anderthalb Jahre später still entsorgte, ohne dass in Deutschland eine einzige Seite gesperrt worden wäre.
Mit zwei Befunden lässt einen diese Episode zurück, einem positiven und einem zumindest in der Rückschau negativen: Auf der Haben-Seite wissen Politiker nun, dass die Bevölkerung in Deutschland höchst aufmerksam und höchst wehrhaft ist, wenn man versucht, die Kommunikationsfreiheit einzuschränken – eine Erfahrung, die jüngst beim Thema ACTA aufgefrischt werden konnte.
Dem steht jedoch die ungeklärte Frage nach der Rechtmäßigkeit eines solchen Gesetzes ent-gegen: Die Nichtanwendung des Zugangserschwerungsgesetzes hat dazu geführt, dass das Bundesverfassungsgericht keine Entscheidung über seine Verfassungskonformität treffen konnte. Es ist nämlich äußerst fragwürdig, ob das Zugangserschwerungsgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist – denn wie Professor Weber ausführte, reicht es zur Kommunikationsbeschränkung nicht aus, ein Gesetz zu erlassen. Zudem muss dieses materiell und proze-dural verhältnismäßig sein. Insbesondere die Prüfung, ob die vorgesehenen Maßnahmen überhaupt ihren Zweck erfüllen, hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit das Aus für die Sperren bedeutet – denn wie eingangs erwähnt sind sie mit Leichtigkeit zu umgehen. Doch dieses Urteil steht noch aus, und es ist zu befürchten, dass mangels höchstrichterlicher Klärung der Wiedergänger Netzsperre früher oder später erneut an unserer Tür kratzt.
Vielleicht kommt es jedoch auch ganz anders. Denn ein weiterer Aspekt aus Webers Aufsatz gibt Grund zur Hoffnung: der Gedanke, dass der Staat Schutzpflichten habe und in der Verantwortung steht, die Kommunikation seiner Bürger zu schützen – nicht nur in der Interessenkonstellation Staat-Bürger, sondern auch in der Konstellation Bürger-Bürger beziehungsweise Privatwirtschaft-Bürger. Denn es ist kein praxisfremdes Beispiel, dass Internetzugangsprovider in die Kommunikationsfreiheit eingreifen. Wir müssen dafür nicht einmal in totalitäre Staaten schauen. Ein Blick nach Großbritannien reicht: Dort haben sich die großen Access Provider auf Druck der Regierung nicht von Gesetz wegen, sondern auf Basis eines Vertrages verpflichtet, den Zugang zu kinderpornografischen Seiten zu sperren. Aktuell wird die Aus-weitung dahingehend diskutiert, dass zudem legale, altersbeschränkte Erotikangebote erst auf ausdrückliche Anweisung des Kunden freigeschaltet werden. Man mag von diesen Seiten halten, was man will – eine Einschränkung der Kommunikationsfreiheit stellen solche Regelungen auf jeden Fall dar. Wohl tut es da zu hören, dass eine Regierung, die auf Grundrechte Wert legt, solche Regelungen nicht ermuntern, sondern unterbinden sollte.
In Deutschland, so scheint es, sind wir da einen Schritt weiter als die Briten. Auch hier haben wir mit privaten Attacken auf die Kommunikationsfreiheit zu kämpfen – bei uns durch das ausufernde Abmahnwesen, mit dem einige Anwälte und Unternehmen das deutsche Rechts-system zur persönlichen Bereicherung missbrauchen. Jüngst geriet die Praxis in die Schlag-zeilen, Cafés und Restaurants mit offenem WLAN Abmahnungen wegen Urheberrechtsver-stößen zu senden, die angeblich dort begangen wurden, das Ganze auf einer rechtlich extrem fragwürdigen Grundlage. Gut denkbar, dass bereits die Rechtsprechung dieser kommunikati-onsschädigenden Unsitte ein Ende bereiten würde, doch anscheinend erhalten wir eine gründ-lichere Lösung: Tatsächlich bereiten mehrere Bundesländer eine Initiative vor, hier per Gesetz für rechtliche Klarheit zu sorgen – Klarheit in dem Sinne, dass ein Cafébetreiber nicht für das Verhalten seiner Gäste verantwortlich ist. In einer Welt, in der Vernetzung und Kommunika-tion jeden Tag wichtiger werden, können wir uns nur wünschen, dass diese von allen Seiten gefördert wird. Wir können Unternehmern danken, die ihren Gästen entsprechenden Zugang ermöglichen. Und wir sollten es begrüßen, wenn die Politik für diesen im 21. Jahrhundert wichtigen Schritt Rechtssicherheit schafft.
Möglicherweise sehen wir in dieser Initiative tatsächlich den ersten Vorboten eines Paradig-menwechsels, bei dem Netzpolitik sich vom Orchideenfach zum wahlentscheidenden Thema entwickelt. Doch auch wenn sich diese Hoffnung nicht (oder noch nicht) erfüllen sollte: Es ist gut zu wissen, dass die Freiheit im Internet durch mehrere Verteidigungslinien geschützt wird: den staatlichen Auftrag, Freiheit sicherzustellen, und das wirksame und in der Recht-sprechungspraxis verlässlich durchgesetzte Verbot unverhältnismäßiger Grundrechtseingriffe. Und zu guter Letzt – sollten diese Linien fallen und echte Eingriffe in die Freiheit drohen – durch wehrhafte Bürger, die sich ihre Freiheiten nicht nehmen lassen.