Die Delegation staatlicher Aufgaben an Private und deren Grenzen
Die Delegation staatlicher Aufgaben an Private und deren Grenzen
Replik: Zivilgesellschaft
Christian Bahls, MOGIS e.V.
Kernaussage
Es stellt sich die Frage, ob Einschränkungen der Kommunikations- und Informationsfreiheit durch Private erlaubt sein sollen, die dem Staat als legitime Mittel nicht ohne Grund nicht zur Verfügung stehen
Die Delegation staatlicher Aufgaben an Private und deren Grenzen=
In seinem Artikel „Gibt es Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit?“ erläutert Professor Weber vom Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich das Prinzip der Schranken-Schranke, also der Begrenzung staatlicher Eingriffe durch grundlegende Rechtsprinzipien, dies insbesondere in Bezug auf die Ausübung von Kommunikations- und Meinungsfreiheit im Internet.
Wie Professor Weber zu Recht gleich zu Beginn anmerkt, hat sich der Traum eines unabhängigen und weitgehend unregulierten Cyberspace, wie von John Perry Barlow in „A Declaration of the Independence of Cyberspace“ proklamiert,[1] nicht verwirklicht.
Manche Aktivisten würden vielleicht sogar so weit gehen zu sagen, dass – obwohl mit dem Internet potentiell eine viel größere Zuhörerschaft zur erreichen ist – aufgrund der technischen Möglichkeiten der Verfolgung von vermuteten Rechtsverletzungen sowie der Überwachung und Einschränkung von Inhalten und Kommunikationswegen, die Ausübung von bürgerlichen Freiheiten und Grundrechten im Internet und bei der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel sogar noch deutlich eingeschränkter ist als zum Beispiel bei anderen Verbreitungswegen.
Ausgehend vom im Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbrieften Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung[2] erläutert Professor Weber, inwiefern den Beschränkungsmöglichkeiten der Staaten Grenzen gesetzt sind: „Die Beschränkungsmöglichkeiten der EMRK basieren auf drei Pfeilern, nämlich der formellen Schranke des Vorhandenseins eines Gesetzes, der materiellen Schranke der Rechtfertigung (Legitimität) und dem prozeduralen Element der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs“. Solche Einschränkungen müssen gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sein und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ sein.
Gerade in der Auseinandersetzung um die (ehemals) in der Kinderschutzdirektive als verpflichtend für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgesehenen Internetsperren wurde deutlich, dass nicht wenige Mitgliedsstaaten Sperren auf der Grundlage von Geheimvereinbarungen zwischen der Exekutive und den Zugangsprovidern umsetzen. Umso wichtiger ist deswegen die Anmerkung des Autors: „Formell ist vorerst vorausgesetzt, dass die Schranke durch ein Gesetz eingeführt wird.“ Er fügt hinzu: „Der Begriff Gesetz ist auslegungsbedürftig; regelmäßig muss die Schrankennorm [aber] mit hinreichender Präzision und Klarheit festlegen, inwieweit die informationelle Freiheitsausübung eine Beschränkung erfahren soll.“ Natürlich wird, wie von Professor Weber dargestellt, in hinreichend autoritären Staaten es entweder eine solche Gesetzgebung geben oder alternativ wird die dortige Justiz wenig Interesse an der Verfolgung solcher Rechtsverletzungen zeigen. Ein Aspekt, der bei dieser Betrachtung etwas zu kurz kommt, ist aber die Rechtsdurchsetzung durch Private im staatlichen Auftrag. Es gibt ein starkes Interesse verschiedenster politischer Akteure, Internetfreiheiten auch in den sogenannten demokratischen Staaten deutlich einzuschränken. Der Staat, durch die Menschenrechtskonvention, durch nationale Gesetzgebung und eventuelle Mehrheitsverhältnisse in seinen Parlamenten gebunden, ist nun verschiedentlich versucht, diesem Druck durch die Delegation der Einschränkung von Freiheitsrechten an Dritte auszuweichen. Dazu wird durch den Staat ermutigt, im Rahmen einer „Selbstregulierung“ Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden. Dies geschieht dann aus den verschiedensten Gründen (auch teilweise mangels Interesse der Zivilgesellschaft) abseits der Öffentlichkeit. Als Beispiele mögen auf nationaler Ebene das Bündnis White IT des Innenministers des Landes Niedersachsen, Uwe Schünemann, und auf Europäischer Ebene die „CEO Coalition to make the Internet a better place for kids“[3] dienen. Durch den Mangel an einer hinreichend präzisen und klaren gesetzlichen Regelung scheint in Bezug auf die Kinderschutzdirektive die bisherige Praxis in vielen Mitgliedsstaaten der EU, Internetsperren auf der Grundlage von (eventuell geheimen) Vereinbarungen mit den Zugangsprovidern ohne richterliche Aufsicht oder eine Verwirklichung des Rechts auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK)[4] zu realisieren, als nicht mit der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vereinbar. Professor Weber geht in diesem Zusammenhang auf die Wesensgehaltsgarantie von Grundrechten ein und wie sich diese aus der Menschenrechtskonvention ableiten lassen: „Maßnahmen, welche die Informations- und Kommunikationsfreiheiten derart einschränken, dass kaum mehr Substanz verbleibt, sind in einer Demokratie nicht notwendig (und dementsprechend auch unverhältnismäßig), weil sich ein entsprechender ‚pressing social need‘ nicht begründen lässt.“ Er geht noch weiter und schreibt, dass „im Kontext der informationellen Freiheitsrechte […] die Einführung einer Regelung, welche eine umfassende Individualkontrolle jedes Internetnutzers an seinem Einwahlknoten vorsehen würde, nicht mit der Wesensgehaltsgarantie vereinbart werden könne". Deep-Packet-Inspection wäre so ebenso wenig durchsetzbar wie auch Two- oder Three-Strikes-Regelungen gegen Urheberrechtsverletzungen durch Privatpersonen. Er schreibt: „Die Verfassung lasse nur Maßnahmen zu, die nicht auf eine Totalüberwachung von Internet-Diensten gerichtet seien.“ In diesem Zusammenhang wäre es zum Beispiel fraglich, ob, wie für das im Rahmen von White IT geplante Projekt „CAMnet“[5], die regelhafte und vollumfängliche Durchsuchung von Sozialen Netzwerken, Kundenpräsenzen im Netz oder auch von E-Mails nach strafrechtlich relevanten Inhalten durch Provider verfassungsgemäß wäre. Dazu führt Professor Weber aus, „dass eine sog. Vorzensur als präventive Maßnahme unzulässig ist. Ausgeschlossen ist deshalb die planmäßige Überwachung des Inhalts von Geisteswerken zur Unterbindung des Erscheinens bzw. Verbreitens unerwünschter Ideen.“ Das Zensurverbot richtet sich als Schranken-Schranke eigentlich an den Staat als Träger öffentlicher Gewalt. Es stellt sich dann aber die Frage, ob Einschränkungen der Kommunikations- und Informationsfreiheit durch Private erlaubt sein sollen, die dem Staat als legitime Mittel nicht ohne Grund nicht zur Verfügung stehen. Es ist eigentlich nicht sofort offensichtlich, warum Eingriffe, die als Grundrechtsverletzungen angesehen würden, wenn sie durch staatliche Stellen vorgenommen werden, legitim sein sollen, wenn sie freiwillig, im Rahmen einer „Selbstregulierung“ zwischen Providern und anderen politischen Akteuren, vereinbart werden. Zumal das Wort „Selbstregulierung“ den Charakter der getroffenen Vereinbarung nicht trifft. Denn es reguliert sich im Allgemeinen nicht der Provider selbst, sondern diese „Fremdregulierung“ greift in Rechte seiner Kunden und anderer Dritter ein. Insofern setzt die Europäische Menschenrechtskonvention dem staatlichen Handeln nicht nur Schranken, sondern enthält auch positive Verpflichtungen. Wie Professor Weber ausführt, hat sich der Gedanke der Verpflichtung des Staates zum aktiven Schutz von bestimmen Grundrechten, z.B. dem Schutz der Privatheit und Vertraulichkeit (Art. 8 EMRK), inzwischen durchgesetzt. Die Anerkennung dieser positiven Pflicht des Staates zum Schutz der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit geht nach herrschender Lehrmeinung sogar soweit, dass „[f]ür den Fall, dass die effektive Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit zwischen den Privaten untereinander nicht mehr sichergestellt ist, […] ein Staat der inhärenten positiven Verpflichtung [unterliegt], zugunsten der Grundfreiheit spezifische Maßnahmen zu treffen." Es ist also nicht nur so, dass der Staat es zu unterlassen hat, die Informations- und Meinungsfreiheit derart anzugreifen, dass sie in ihrem Wesensgehalt angetastet werden, sondern „[s]chließlich gilt auch als anerkannt, dass die Staaten positive Schutzpflichten haben, wenn Private die Freiheitsausübungen ungebührlich einschränken. Solche positiven Pflichten des Staates sind insbesondere anzunehmen, wenn z.B. Internet Service Provider private Zensurmaßnahmen ergreifen, welche die Verwirklichung der Internetfreiheit erheblich beeinträchtigen.“
Nach Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs könnte es sich für Mitgliedsstaaten sogar als verpflichtend erweisen, zur Durchsetzung von Meinungs- und Kommunikationsfreiheit regulierend in Besitzrechte einzugreifen: „if a bar on access to property were to result in the lack of any effective exercise of freedom of expression, the Court would not rule out the possibility that a positive obligation could arise for the State to protect the enjoyment of Convention rights by regulating property rights“.[6]
In Zukunft wird es also sicherlich interessant sein zu beobachten, wie die Entwicklung von Einschränkungen der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit durch große Plattformen (wie z.B. Soziale Netzwerke oder auch App Stores) durch die Unterzeichner der Europäischen Menschenrechtskonvention gesetzgeberisch begleitet wird. Über die bereits bestehenden gesetzlichen Grundlagen hinausgehend wird es aber an der Zivilgesellschaft sein zu hinterfragen, ob die in Artikel 10 EMRK vorgesehenen „Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen, […] die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, […] zum Schutz […] der Moral“ noch zeitgemäß und legitim sind. Denn wie man gerade in Litauen sehen konnte, werden diese doch sehr weit auszulegenden Schranken gesetzlichen Handelns zu einfach überwunden.[7]
- ↑ John Perry Barlow „A Declaration of the Independence of Cyberspace“
- ↑ http://dejure.org/gesetze/MRK/10.html
- ↑ CEO Coalition to make the Internet a better place for kids.
- ↑ http://dejure.org/gesetze/MRK/13.html
- ↑ White IT & CAMnet: http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2011-12/white-it-netzfilter/komplettansicht http://www.heise.de/security/meldung/28C3-Arbeit-am-kinderpornografiefreien-Netz-1401656.html
- ↑ Appleby and others v. The United Kingdom http://sim.law.uu.nl/sim/caselaw/Hof.nsf/233813e697620022c1256864005232b7/8c78b7abee37600841256d20004cfb51?OpenDocument
- ↑ Litauen hat Ende 2009 ein Gesetz zum Schutz traditioneller Familienwerte erlassen: http://www.minnpost.com/global-post/2010/03/will-lithuanian-law-family-values-harm-gay-rights Ende 2010 wurde dann offen die Beförderung der Homosexualität pönalisiert: http://amnesty.ie/news/lithuania-new-move-towards-penalising-homosexuality
Christian Bahls | |
Christian Bahls ist Diplom-Mathematiker und promoviert in der Angewandten Elektrotechnik (Computational Elektromagnetics). In seiner Freizeit engangiert er sich politisch für die Interessen von Betroffenen sexuellen Missbrauchs und für die Erhaltung und Stärkung von Bürgerrechten on- und offline. Christian gründete im Jahr 2009 während der Debatte um Internetsperren den MOGiS e.V., damals noch als 'Missbrauchsopfer gegen Internetsperren'. Der MOGiS e.V. vertritt aktiv die Interessen und Belange von Betroffenen sexuellen Kindesmissbrauchs und arbeitet zudem für die Stärkung von Grund- und Bürgerrechten auch außerhalb des Internets. Im Jahr 2010 hat der MOGiS e.V. sein Tätigkeitsfeld auf die EU ausgeweitet. In der Diskussion um die Kinderschutzdirektive (Malmström-Vorschlag) hat MOGiS zusammen mit EDRi (European Digital Rights) dafür gearbeitet, dass Sperren in der EU nicht verpflichtend werden. |