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Die Durchsetzbarkeit von Schranken-Schranken

Die Durchsetzbarkeit von Schranken-Schranken

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MIND #3
Grenzen der Internetfreiheit
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Replik: Akademisch-Technische Community

Tobias Mahler, University of Oslo

Kernaussage
Die bestehenden Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit haben bisher nur eine eingeschränkte praktische Bedeutung, und ihr zukünftiger Ausbau bedarf erheblichen politischen Willens.


Die Durchsetzbarkeit von Schranken-Schranken

Beschränkungen der Internetfreiheit zeigen sich in vielfältiger Weise. Das Spektrum erstreckt sich von der Nachzensur im Kleinen, etwa wenn einzelne Tweets in einem Land (z.B. USA) unzugänglich gemacht werden,[1] über die zeitweise Blockierung des Internets (z.B. Ägypten) bis zu systematischen und andauernden Informationskontrollen (z.B. China). Hinzukommen Störungen des Internetverkehrs aus dem Ausland sowie viele andere staatliche und nichtstaatliche Maßnahmen, die hier nicht weiter behandelt werden können. Der tatsächliche Umfang solcher Beschränkungen weltweit ist nicht einfach zu erfassen, aber Hinweise auf regional unzugängliche Webseiten[2] und Daten über Internetfilterung[3] deuten darauf hin, dass einige Staaten recht umfassend in die Internetkommunikation eingreifen. Die Frage nach Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit ist also von erheblicher praktischer Bedeutung.

Rolf H. Webers Aufsatz „Gibt es Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit?“ untersucht dies vor dem Hintergrund des Völkerrechts und der darin enthaltenen Menschenrechtsverpflichtungen. Er kommt zu der Erkenntnis, dass es durchaus rechtliche Schranken für Beschränkungen der Internetfreiheit gibt.

Mein Kommentar beschäftigt sich mit der daran anknüpfenden Frage, welche unmittelbare Bedeutung diese Schranken im praktischen Rechtsleben gegenwärtig haben. Überspitzt gefragt: Lässt sich das von Weber beschriebene Arsenal bereits jetzt in vollem Umfang einsetzen, um die Beschränkungen der Internetfreiheit etwa in China konkret zu begrenzen?

Der Rechtsanwender stößt hierbei auf mehrere miteinander verbundene Probleme. Erstens sind einige Länder nicht einmal an den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) gebunden, weil sie entweder, wie Saudi-Arabien, diesen überhaupt nicht unterzeichnet haben, oder weil sie, wie China, Kuba und Pakistan, diesen nicht ratifiziert haben.[4] Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der oder die Betroffene Beschwerde gegen Beschränkungen einlegen kann. Dies ist nur in einem Fakultativprotokoll vorgesehen, dem viele Länder nicht beigetreten sind. Individualbeschwerden können damit nicht gegen wichtige Staaten wie Russland, China, Indien, Brasilien und sogar die Vereinigten Staaten sowie den Großteil der Staaten Afrikas und Asiens eingereicht werden.[5]

Da Weber sich hier primär mit dem grundsätzlichen Bedarf für neue Schranken befasst, betont er verständlicherweise weniger die bisweilen mangelnde Bindung an bestehende Menschenrechte sowie deren teilweise ungenügende Durchsetzbarkeit. Im Zusammenhang mit Vorzensurmaßnahmen in China und Singapur schreibt er: „Solche Vorkehren sind, wie erwähnt, am Grundsatz der Wesensgehaltsgarantie als Schranke von Schranken zu messen.“ In der Praxis dürfte es allerdings gelegentlich schwierig sein, diesen Maßstab konkret anzuwenden. Zunächst ist festzustellen, dass China den IPbpR nicht ratifiziert hat. Für Singapur gilt zwar der IPbpR, aber da dieses Land das Fakultativprotokoll nicht unterzeichnet hat, sind Individualbeschwerden unzulässig. Zwar verbleibt noch die Verpflichtung von IPbpR-Mitgliedstaaten, periodisch Staatenberichte an den UN-Menschenrechtsausschuss einzureichen, diese stellt jedoch kein besonders starkes Mittel zur Vertragsdurchsetzung dar. Für die praktische Rechtsanwendung gibt es damit derzeit nur eingeschränkt die Möglichkeit, die Beschränkungen der Internetfreiheit konkret an der Wesensgehaltsgarantie zu messen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass die von Weber aufgezeigten Schranken-Schranken derzeit ohne praktische Bedeutung wären. Zum einen können auch die Untersuchungen und Empfehlungen des UN-Menschenrechtsausschusses einen gewissen Druck erzeugen. Zum anderen bietet insbesondere der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wirksamen Rechtschutz gegen unverhältnismäßige Einschränkungen der Informations- und Kommunikationsfreiheit durch Mitgliedsstaaten (Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK). Im Ergebnis bedeutet dies allerdings keinesfalls eine völlig uneingeschränkte Internetfreiheit; es geht vielmehr darum, wie weit sich diese Freiheit einschränken lässt. Es spricht viel dafür, dass Art. 10 EMRK zumindest solche Kontrollmaßnahmen verbietet, welche die Informations- und Kommunikationsfreiheiten derart einschränken, dass kaum mehr Substanz verbleibt. Was darunter zu verstehen ist, kann im Einzelfall natürlich diskutiert werden, aber einige Eingriffe in die Internetkommunikation dürften durchaus als gerechtfertigt angesehen werden.

Die hier angerissenen praktischen Herausforderungen mögen teilweise zu Webers Fazit beigetragen haben, dass der „Weg, anerkannte Schranken hinsichtlich einzelstaatlicher Beschränkungen festzulegen, weiterhin steinig sein dürfte“. Dem ist zuzustimmen. Die bestehenden Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit haben bisher nur eine eingeyschränkte praktische Bedeutung, und ihr zukünftiger Ausbau bedarf erheblichen politischen Willens.


  1. Twitter hat vor kurzem mitgeteilt, dass einzelne Tweets nun regional unzugänglich gemacht werden können. Diese Ankündigung wurde vielfach als Zensur missverstanden, trägt aber meines Erachtens zu einer Stärkung der Meinungsäußerungsfreiheit bei. Im Vergleich zu früher muss ein Tweet nicht mehr global gelöscht werden. Siehe hierzu den Blog-Kommentar von Zeynep Tufekci, „Why Twitter’s new policy is helpful for free-speech advocates”, technosociology.org/?p=678 (30.03.2012).
  2. Siehe die Datensammlung des Herdict-Projekts des Berkman Center for Internet and Society at Harvard University, herdict.org (30.03.2012).
  3. Die OpenNet Initiative, eine Zusammenarbeit von drei Forschungsinstitutionen, veröffentlicht umfangreiche Daten zur Praxis von Internetfilterung und -überwachung, siehe opennet.net (30.03.2012).
  4. Das Centre for Civil and Political Rights stellt dies sehr übersichtlich auf einer Weltkarte dar, siehe http://www.ccprcentre.org/en/status-of-ratification (30.03.2012).
  5. ebd.
Autoren
Mohamed Hamzé
Sebastian Haselbeck
Mohamed Hamzé
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