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Die Stellschrauben des internationalen Rechts zur Durchsetzung der Internetfreiheit

Die Stellschrauben des internationalen Rechts zur Durchsetzung der Internetfreiheit

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MIND #3
Grenzen der Internetfreiheit
Inhaltsverzeichnis
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Replik: Akademisch-Technische Community

Matthias C. Kettemann, Universität Graz

Kernaussage
Ein Staat muss nachweisen, dass die Einschränkung der Internetfreiheit notwendig und in Bezug auf das legitime Ziel verhältnismäßig ist. Entscheidend ist außerdem das Vorliegen universal gültiger, durchsetzbarer Schranken-Schranken, die es Staaten verbieten, das Internet lokal (und regional) nach ihren Wünschen einzuschränken.

Inhaltsverzeichnis

Die Stellschrauben des internationalen Rechts zur Durchsetzung der Internetfreiheit

„Gibt es Grenzen für staatliche Beschränkungen der Internetfreiheit?“, fragt Rolf H. Weber, und er fragt es mit Recht. Angesichts des tendenziell responsiven Charakters des Rechts ist das regulative Pendel nach der als regellos wahrgenommenen Frühzeit des Internets nun in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Oft ohne das entsprechende legistische Fingerspitzengefühl („Bundestrojaner“) und in Verkennung der legitimitätsstiftenden Funktion von Multi-Stakeholder-Prozessen (ACTA) haben Staaten internetbezogene Sachverhalte einem zunehmend strengeren Regulierungskorsett unterworfen. Regelmäßig werden dabei Menschenrechte berührt, oft sogar verletzt. Daher ist der von Rolf H. Weber unternommene Versuch, Schranken-Schranken für Staaten aufzuzeigen, zeitgerecht, richtig und wichtig.

Weber beginnt seine Untersuchung mit der Dogmatik der Verhältnismäßigkeitsprüfung und Ausführungen zur Wesensgehaltsgarantie, die – obwohl zutreffend und in dieser Deutlichkeit für das Internet erst selten ausgeführt – in manchen Bereichen zu kurz greifen. Die Frage, ob sich aus der völkerrechtlichen Rechtsordnung Schranken-Schranken für Staaten ergäben, gewinnt nämlich vorwiegend durch ihre internationale Dimension Relevanz und entzieht sich regionalen und einzelstaatlichen Verbriefungen und deren Ausjudizierung.

Universale Schranken-Schranken

Es ist daher nicht so sehr entscheidend, ob einzelstaatliche Verbriefungen bestehen, die das Regelungspouvoir von Staaten einschränken, sondern ob globale Verpflichtungen – also universal gültige Schranken-Schranken – bestehen, die es Staaten verbieten, das Internet lokal (und regional) nach ihren Wünschen einzuschränken. In der Regel sind nämlich nicht jene Staaten für das Internet gefährlich, die eine solide staatliche Absicherung der Informationsfreiheit und einen institutionellen Schutz des Internets aufweisen, gesichert durch eine ausgeklügelte höchstgerichtliche Judikatur (wie in Deutschland) und konturiert durch ein regionales Menschenrechtsgericht (wie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte); die Gefahr für die internetbezogenen Rechte ihrer Bevölkerung gehen vielmehr aus von Staaten ohne einen (ausreichenden) verfassungsrechtlichen Schutz der Informationsfreiheit, ohne entsprechende einzelgesetzliche Verbriefungen, von Staaten, die sich darüber hinaus nicht regionalen oder universellen Menschenrechtsüberwachungsorganen unterworfen haben. Hier schafft eine Untersuchung der internationalen Rechtslage einen konkreten Mehrwert, indem sie aufzeigt, wie das Völkerrecht solche Staaten an die Kandare nimmt.

Der internationale Rechtsbestand bietet ausreichend Grundlage zur Determinierung staatlicher Internetpolitik durch menschenrechtliche Schranken. Schon in der im Rahmen des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft angenommenen Verpflichtungserklärung von Tunis (2005) bestätigten die Staaten der Welt, dass sie eine „den Menschen in den Mittelpunkt stellende, inklusive und entwicklungsorientierte Informationsgesellschaft“ bauen wollen, die „gestützt auf die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und den Multilateralismus“ sei und in der die volle „Achtung und Einhaltung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ sichergestellt sei. Weiter bestätigten sie, dass „alle Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich des in der Erklärung von Wien verankerten Rechts auf Entwicklung, allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind (Ziff. 2–3) In der zeitgleich beschlossenen Tunis Agenda wiederum schrieben die Staaten ihr Bekenntnis zu einem stabilen und sicheren Internet als globale Einrichtung nieder (Ziff. 29). Aus beiden Bekenntnissen, die einer Verpflichtungserklärung der Staaten gleichkommen und dadurch den Kern der Entwicklung völkergewohnheitsrechtlicher Regeln in sich tragen, lassen sich Hinweise über die Konturen der Schranken-Schranken ableiten: Sie helfen uns völkerrechtlich fundiert zu argumentieren, was Staaten nicht dürfen.

Völkergewohnheitsrechtliche Schranken

Die internationale Gemeinschaft hat erkannt, dass die Stabilität, Integrität und Funktionalität des Internets wie auch die Geltung der Menschenrechte im Internet ein internationales Anliegen sind und im Rahmen einer gemeinsamen, geteilten Verantwortung – über den Prozess der Internet Governance – durchgesetzt werden müssen.

Es bestehen den Menschenrechten entfließende Schutzpflichten des das Internet abschaltenden Staates gegenüber der internationalen Gemeinschaft, Gefahren für die Stabilität, Integrität und Funktionalität des Internets abzuwenden und den globalen, unbeschränkten, grenzübergreifenden Internetverkehr nicht negativ zu beeinflussen. Alle Staaten der Welt haben – dies zeigt die Internationalisierung der Internet Governance – ein rechtliches Interesse am Internet (gerade aus den von Weber ausgeführten Gründen); diesem korrespondiert daher eine erga omnes-Pflicht zum Schutz der Stabilität, Integrität und Funktionalität. Gleichzeitig bestehen globale positive Schutzpflichten der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich des Internets, die sich unter anderem aus der Pflicht der Staaten zur Gewährleistung der Vorbedingungen der Ausübung der Kommunikations- und Informationsrechte nach Artikel 19 des Zivilpaktes der Vereinten Nationen (IPbpR) ergeben.

Wenn Rolf H. Weber die Schwierigkeit beklagt, völkergewohnheitsrechtliche Regeln durchzusetzen, ist ihm zuzustimmen. Rechtlich ist das Potenzial der internationalen Gemeinschaft beschränkt: Sie kann in Fällen von (reinen) Internetabschaltungen kaum andere Wege als die diplomatischen beschreiten. Nur wenn ein Eingriff in die Stabilität und Funktionalität des Internet das Ausmaß einer Bedrohung des Weltfriedens und internationalen Sicherheit erreicht, hätte der Sicherheitsrat eine Handhabe nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen tätig zu werden. Dass der Sicherheitsrat die Abschaltung des Internets alleine als eine Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beurteilt, ist in absehbarer Zeit nicht zuletzt aufgrund der dem Internet immanenten Widerstandsfähigkeit unwahrscheinlich.

Menschenrechtliche Schranken-Schranken

Doch das Völkergewohnheitsrecht ist nicht die einzige Quelle für staatliche Verpflichtungen. Auch das Völkervertragsrecht, insbesondere die Menschenrechtsschutzverträge der Vereinten Nationen beschränken staatliche Einflussnahme auf das Internet: etwa der erwähnte Zivilpakt (der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, IPbpR) und der Sozialpakt (jener über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, IPwskR).

Rolf H. Weber setzt die Entwicklung von Schranken-Schranken mit Blick auf informationelle Freiheitsrechte an. Sie beginnt aber schon bei traditionellen Rechten, die nur dann zu den Bedingungen der Informationsgesellschaft genützt werden können, wenn die Funktionalität und Stabilität des Internets sichergestellt sind. Dies hat 2011 der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Meinungsäußerungsfreiheit, Frank La Rue, in seinem Bericht an die Generalversammlung der Vereinten Nationen nachdrücklich gezeigt: Das Recht auf Zugang zum Internet, so Rue, sei so bedeutend, weil das Internet es den Menschen ermöglicht, sich einer Vielzahl anderer Menschenrechte zu den Bedingungen der Informationsgesellschaft zu versichern.

Das Internet verdient aufgrund der vielen verschiedenen Rollen, die es zu den Bedingungen des Informations- und Kommunikationszeitalters ausfüllt, einen besonderen Schutz. Dieser wird geleistet durch die informations- und kommunikationsbezogenen Menschenrechte, die – fußend auf Artikel 19 des Zivilpaktes und den entsprechenden regionalen Menschenrechtsschutzsystemen – einen umfassenden Schutz garantieren, der in seinem Kerngehalt gewohnheitsrechtlich abgesichert ist.

Weber ist natürlich zuzustimmen, dass Menschenrechte (mit wenigen Ausnahmen wie dem Folterverbot) nicht uneingeschränkt gelten. Artikel 19 Absatz 3 (um Webers Darstellung zur europäischen Rechtslage um eine internationale Dimension zu erweitern) weist explizit darauf hin, dass die Ausübung der garantierten Rechte „mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung“ verbunden ist. Daher sind Einschränkungen möglich, wenn diese gesetzlich vorgesehen und erforderlich sind, „a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit“ und mit Blick auf diese legitimen Ziele verhältnismäßig sind.

Aus Gründen der nationalen Sicherheit kann etwa die Veröffentlichung eines Aufrufs zu politischer Gewalt oder zu einer Revolution, insbesondere aber Kriegspropaganda verboten werden. Mit der öffentlichen Ordnung werden jene fundamentalen Grundsätze geschützt, auf denen demokratische Gesellschaften fußen. Grundsätzlich sieht das Menschenrechtskomitee, das die Anwendung und Auslegung des Paktes überwacht, Äußerungen, die auf die Förderung von Menschenrechten, Vielparteiendemokratie und demokratische Grundprinzipien abzielen, keinesfalls als Gefährdung für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung an (so in Mukong gegen Kamerun, 1994). Auch in den Syrakus-Prinzipien von 1984 hat der Hochkommissar für Menschenrechte darauf hingewiesen, dass nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung oft als Gründe für den eigentlichen Zweck vorgeschoben werden, die Regierung zu schützen. „Nationale Sicherheit“ dürfe nicht als Vorwand für „willkürliche Beschränkungen“ verwendet werden (Absatz 31). Selbst die Unterdrückung der Meinungsäußerungsfreiheit in Einzelfällen ist nur möglich, wenn eine ernsthafte politische oder militärische Gefahr für die Nation besteht.

Ein Staat muss darüber hinaus nachweisen, dass die Einschränkung notwendig und in Bezug auf das legitime Ziel verhältnismäßig ist. Nur schwer lässt sich überzeugend argumentieren, dass etwa eine komplette Abschaltung des Internets, wie in Ägypten und Libyen 2011 geschehen, erforderlich ist, um die nationale Sicherheit zu garantieren. Jedenfalls wäre aber so ein starker Eingriff in die Informations- und Kommunikationsfreiheit nicht verhältnismäßig. Wie das Menschenrechtskomitee in seinem Kommentar Nr. 10 schreibt, darf das „Recht [auf Meinungsäußerung] selbst nicht in Gefahr gebracht“ werden; das ist die völkerrechtliche Grundlegung der Wesensgehaltsgarantie, deren flächendeckende Übersetzung in Verfassungsrecht wünschenswert wäre, die aber qua Gewohnheitsrecht ohnedies international Geltung erlangt hat.

Gibt es neben diesen einzelnen menschenrechtlichen Schutzbestimmungen auch einen völkerrechtlich begründeten institutionellen Schutz für das Internet als Informations- und Kommunikationsmedium? Dies wird zu bejahen sein. Zunächst lässt sich feststellen, dass Artikel 19 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 2 Absätze 1 und 2 des Zivilpakts bestimmte Schutz- und Gewährleistungspflichten des Staates entfließen. Diese erstrecken sich wohl jedenfalls auf die menschenrechtskonformen Verwaltungsstrukturen des Internets. Schlagkräftig ist aber auch das Argument, dass Schutz- und Gewährleistungspflichten für das Internet als Vorbedingungen der Ausübung der Kommunikations- und Informations¬rechte nach Artikel 9 des Zivilpakts jedem Staat eine besondere Pflicht auferlegen und nationale Entscheidungen dergestalt einschränken.

Der Multi-Stakeholder-Ansatz als formale Schranke

Eine Dimension von Schranken erwähnt Weber nicht: jene, die staatliche Normenschaffung prozessualer determinieren. Die Mobilisierung gegen das Anti-Produktpiraterie-Abkommen (ACTA) hat gezeigt, dass die Ausverhandlung internationaler Verträge (denn um einen solchen handelt es sich), die einen Internetbezug haben, nicht mehr im ausschließlichen legitimierenden Pouvoir der Staaten steht. Mit anderen Worten: Das Völkerrecht der Informationsgesellschaft und das Paradigma der Humanisierung des Völkerrechtes zeigen dergestalt Wirkung, dass das Recht von Staaten, Verträge mit Internetbezug zu schließen, zwar nicht formal eingeschränkt ist, dass sich aber angesichts der Erwartungshaltung der Bevölkerung – und die Überzeugung der grundsätzlichen Legitimität einer (auch völkerrechtlichen) Norm ist mit Geltungsbedingung – ein Schluss aufdrängt: Das Multi-Stakeholder-Modell hat zumindest in seiner abgeschwächten Form (Konsultierung aller Stakeholder-Gruppen) Einzug in die normative Ordnung des Völkerrechts gehalten. Die Integration der Zivilgesellschaft in den Verhandlungsprozess in den Römischen Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs hat hier Beispielcharakter.

Die Zukunft der Schranken-Schranken

Zusammenfassend: Eine Dogmatik verfassungsinterner Schranken hilft nur der Beschränkung der Normierungswut von Staaten, die eine solche auch vorsehen. Die Verhältnismäßigkeitsjudikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt Sinn, ist aber nur innerhalb des Europarates anzuwenden. Dagegen lassen sich sowohl aus Völkergewohnheitsrecht wie auch aus Völkervertragsrecht Schranken-Schranken ableiten.

Zentrale Frage der Zukunft der Internetregulierung ist wohl diese: Die internationale Gemeinschaft hat – nicht zuletzt durch ihr Bekenntnis zur Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) – bestätigt, dass sie Staaten weltweit in die Pflicht nehmen kann, Menschenrechte zu schützen, und zu intervenieren, wenn ein Staat grobe Menschenrechtsverletzungen begeht. Doch wie halten es das Völkerrecht und die internationale Gemeinschaft mit dem Internet? Es ist festzustellen, dass Verletzungen der internetbezogenen Rechte noch keinen Interventionstitel bilden; etwas anderes könnte allerdings der Verstoß gegen die Stabilität und Funktionalität des Internets als solches sein, wenn dies einer Gefährdung der internationalen Sicherheit gleichkommt.

Abschließend ist Rolf H. Weber daher unbedingt zuzustimmen: Der Weg, Schranken-Schranken für staatliches Handeln festzulegen, ist ein steiniger. Zum Glück bietet das Völkerrecht hier ermutigende Wegmarken. Die große Herausforderung der Zukunft wird darin liegen, die Herausbildung des Internets als globales Schutzgut flankierend zu unterstützen und den Multi-Stakeholder-Ansatz als Standard für internetbezogene Regulierungsmaßnahmen (und darüber hinaus) durchzusetzen.

Autoren
Mohamed Hamzé
Sebastian Haselbeck
Mohamed Hamzé
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