Für Nutzererziehung und Kapazitätsbildung
Für Nutzererziehung und Kapazitätsbildung
Replik: Zivilgesellschaft
Sandra Hoferichter ICANNs At Large Advisory Committee (ALAC)
Als Internet-Endnutzer ohne juristischen Hintergrund lese ich aus diesem Beitrag heraus, dass sich Internetdienste / -inhalte nicht in den vorhandenen Strukturen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) abbilden lassen. Dies sollte meines Erachtens auch nicht das Ziel sein, denn so wie das Internet die Kommunikation der Nutzer in den letzten 20 Jahren beeinflusst und verändert hat, sollten auch in der Gesetzgebung, soweit sie nötig ist, neue Wege gefunden werden. Dies kann nicht bedeuten, die positiven Errungenschaften, wie z.B. die freie Meinungsäußerung oder die stetig kreativen Prozesse, welche neue Internetdienste hervorbringen, einzuschränken oder gar zu verhindern.
Regulierung kann hingegen sehr sinnvoll sein, wenn es z. B. um die Bekämpfung von Straftaten geht. Dieser Weg erweist sich jedoch als sehr schmaler Grat und kann nur bedingt über nationale Gesetzgebung gelöst werden. Vielmehr müssen neue interstaatliche Abkommen, Kooperationen geschlossen werden – eine große Herausforderung, wie die Diskussionen beim Internet Governance Forum (IGF) und bei ICANN, und hier insbesondere zwischen dem ICANN Direktorium und dem Governmental Advisory Committee (GAC) immer wieder zeigen.
Der Erfolg des Internets besteht darin, dass jeder mitmachen kann und es sich hierbei um ein globales Medium handelt. So wie wir das Netz heute kennen, wurde es von Anwendern entwickelt, die sich keinen Regularien, außer den technischen Spezifikationen, unterordnen mussten und es hat seine globale Verbreitung erfahren, durch Nutzer die selbstbestimmt entscheiden konnten, ob sie die angebotenen Dienste benötigen oder nicht. Die Kompetenz des Individuums ist der Erfolgsfaktor des dezentralen Netzwerks. Die Qualitätsentscheidung muss weiterhin vom Nutzer getroffen werden. Hätte es im frühen Stadium schon Gesetze und Richtlinien gegeben, wäre es sicher nie zu diesem Erfolg gekommen. Übergeordnete Instanzen hätten Facebook, Twitter & Co möglicherweise nicht als „qualitativ wertvoll“ eingestuft. Dennoch haben diese Dienste ihren Siegeszug angetreten, auch wenn dadurch viele neue Fragen, z. B. hinsichtlich des Datenschutzes, aufgeworfen werden. Selbst Wirtschaft, Städte und Verbände wissen diese Plattformen heute für sich zu nutzen und nicht nur einmal haben sie sich als zuverlässiges Mittel der Informationsübertragung erwiesen.
Da das Internet auch ein wirtschaftlicher Faktor ist, sind Regeln bis zu einem bestimmten Maß durchaus sinnvoll, jedoch müssen wir sehr genau unterscheiden, an welcher Stelle Regeln helfen, Chancengleichheit zu gewährleisten und Wettbewerb zu befördern und wann wir damit Kreativität unterbinden bzw. die demokratische Plattform in ein Korsett pressen das Freiheitsrechte einschränkt.
Viel wichtiger als die Überlegung nach welchem TK- Gesetz das Netz funktionieren soll ist aus meiner Sicht die Erziehung des bewussten eBürgers. Ein eBürger kann selbstbewusst mit der zunehmenden Informationsflut umgehen, ist in der Lage die gewünschte Information im Netz zu finden und kann diese auf Ihre Wertigkeit hin beurteilen. Er ist weiterhin in der Lage die Möglichkeiten, die das Netz bietet, für sich zu nutzen, erkennt aber auch Gefahren und ist sich des Restrisikos bewusst, ein Restrisiko welches uns in allen Lebenslagen umgibt.
Für einige Leser dieses Beitrages mag dies wie eine längst vorhandene Selbstverständlichkeit klingen. Leider zeigen die Erfahrungen an der Basis, dass dem noch lange nicht so ist, weder im globalen noch im nationalen Kontext. Hier sehe ich u.a. auch den nationalen Gesetzgeber gefordert digitale Chancengleichheit zu schaffen. So lange „Internetbenutzung“ losgelöst im Informatikunterricht gelehrt wird, oder der Grundanspruch auf den Besitz eines Computers [1] nicht dem Grundanspruch auf ein Rundfunkgerät gleichgestellt ist wird es für den digitalen Laien zukünftig immer schwieriger, mit den Entwicklungen Schritt zu halten und sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Leider gibt es bei der Interneterziehung nicht die generationsübergreifenden Erfahrungen, auf die wir zum Beispiel bei der Erziehung im Straßenverkehr zurückgreifen können. Aber eines ist deutlich, die Entwicklung im Telekommunikationsbereich ist rasant und wir müssen die wichtigsten Schritte jetzt gehen.
Der zunehmend beklagte Fachkräftemangel wird sich in Zukunft immer mehr an der Netzkompetenz festmachen lassen. Wenn wir vor zehn Jahren in der ersten Klasse noch Noten für das „Schönschreiben“ bekommen haben, sollten wir in Zukunft Schnelligkeit und Fehlerfreiheit im Tastaturtippen bewerten und das nicht erst im Volkshochschulkurs nach der Schule, sondern wir sollten damit in der Grundschule beginnen. Mit Sicherheit werden uns dabei andere Kompetenzen verloren gehen (meine Handschrift war mal toll, heute kann ich sie mitunter selber kaum lesen), aber ihren Braten können sich heute die wenigsten selbst erlegen, darauf verzichten müssen wir deswegen nicht. Andere Kulturtechniken, wie z. B. das Bücher- oder Zeitunglesen haben schon die Einführung anderer Medien (Funk und Fernsehen) überlebt. Gewiss wurden sie durch diese verändert, aber untergegangen sind sie nicht, solange sie sich auf die neuen Bedingungen eingestellt haben. Hätten die Ofenbauer einst erkannt, dass sie Wärme verkaufen und nicht Öfen, wäre dieser Beruf nicht ausgestorben.
Abschließend möchte ich noch auf die Entwicklung des Internets im internationalen Kontext hinweisen. Es ist bekannt, dass alle Entscheidungen das DNS- System betreffend von ICANN getroffen werden. ICANN arbeitet demokratisch unter Einbeziehung der verschieden Interessengruppen (Wirtschaft, Regierungen, Techniker, Endnutzer).[2] Alle Entscheidungen werden unter Anhörung aller Interessengruppen getroffen. Der Endnutzer wird bei ICANN durch das At-Large-Advisory Committee (ALAC) vertreten, welches sich aus je drei Repräsentanten der weltweit fünf Regionen zusammensetzt.[3] In jeder der fünf Regionen gibt es eine sogenannte „Regional At-Large Organisation“ (RALO), die de facto eine regionale Vertretung der individuellen Internetnutzer in allen Fragen ist, die mit Management der kritischen Internet-Ressourcen (Domain-Namen, IP-Adressen, Root- Server, Internet-Protokolle) im Zusammenhang stehen. Die RALOs konstituieren sich aus sogenannten „ At-Large Structures“ (ALS), die als lokale oder nationale nicht profitorientierte und nicht regierungsnahe Gruppen unmittelbar die Interessen der Endnutzer vertreten. Jede Gruppe, die den in den ICANN Statuten festgeschriebenen Kriterien für eine ALS entspricht, kann sich bei ICANNs ALAC um eine Anerkennung als ALS bewerben. In der Europäischen Regionalorganisation (EURALO) ist Deutschland mit neun ALSes vertreten[4].
Bei den ICANN/ALAC-Diskussionen geht es oft um praktische Fragen der Internetnutzer, wie z.B. das Recht auf freie Meinungsäußerung, Daten- oder Konsumentenschutz bei der Registrierung von Domainnamen. Dabei wird sehr schnell deutlich, dass bei aller nationalen Spezifikation Fragen, die mit den kritischen Internetressourcen im Zusammenhang stehen, nur noch im globalen Rahmen lösbar sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Dringlichkeit nationaler Probleme in den verschiedenen Teilen der Welt sehr unterschiedlich gesehen wird. Dort wo der Zugang zum Internet (noch) nicht gewährleistet ist, spielt die Debatte über Menschenrechte, Zensur und Chancengleichheit im Internet eine wesentlich größere Rolle als der Datenschutz. Eine ähnliche Erfahrung gibt es beim Internet Governance Forum (IGF) und der entsprechenden europäischen Variante, dem „European Dialogue on Internet Governance“ (EuroDIG).
- ↑ Im Rahmen der Grundsicherung soll nach Ansicht des lSG Essen (Beschl. v. 23. 04. 2010 – l 6 AS 297/10 B) ein PC nicht als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts gehören. Ein solcher müsse auch nicht im Rahmen der Erstausstattung der Wohnung gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr.1 SGB II durch eine Beihilfe (mit-)finanziert werden (ebenso lSG München, Beschl. v. 29. 01. 2010 – l 7 AS 41/10 B ER). Bereits damals war die Klägerin der Auffassung, ein PC nebst erforderlichem Zubehör gehöre mittlerweile zum soziokulturellen Bedarf eines Hilfebedürftigen, um den Anspruch auf teilhabe am gesellschaftlichen leben erfüllen zu können. Das Gericht verneinte dies, weil nicht die Verbreitung, sondern die Erforderlichkeit für die Haushaltsführung entscheidend sei. Dazu meinten die Richter: „Dies sei bei einem PC nicht der Fall. Ein Haushalt lasse sich ohne Probleme ohne einen PC führen.“ Die politik prüft inzwischen indes bereits, ob nicht künftig die Kosten eines Internetanschlusses zur Grundsicherung und somit zum Existenzminimum gerechnet werden müssen (http://bit.ly/dmtM29). Die rechtlichen Entwicklungen würden damit den tatsächlichen Verhältnissen und den entstandenen Bedürfnissen Rechnung tragen.
- ↑ Strukturschema ICANN auf http://icann.org/en/about
- ↑ Strukturschema AlAC auf http://www.atlarge.icann.org/orgchart
- ↑ Committee for a Democratic United Nations (Komitee für eine Demokratische UNO), Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) e.V., FIfF (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung), FoeBuD e.V. & Big Brother Awards Deutschland, Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FItUG) e.V, humanistische Union e.V. (the humanist Union), Medienstadt leipzig e.V., Netzwerk Neue Medien (NNM),terre des Femmes-Germany e.V