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Freiheit und Demokratie im Netz – die Rolle der Intermediäre

Freiheit und Demokratie im Netz – die Rolle der Intermediäre

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Wolf Osthaus, Unitymedia KabelBW[1]


Julian Nida-Rümelin hebt in seinem Text zu Recht die freiheitsfördernde Wirkung des Internets hervor, die Stärkung der freien Meinungsäußerung, der gesellschaftlichen Willensbildung und schließlich der Demokratie. Die nahezu ubiquitäre Verfügbarkeit elektronischer Kommunikation ermöglicht heute neue Formen von Information und Interaktion, die sehr viel spontaner, unstrukturierter und unabhängiger von großen Institutionen auftreten, als dies zu Zeiten klassischer Medien der Fall war. Informationen sind in größerem Umfang verfügbar und leichter erreichbar, gleichzeitig für staatliche Machtstellen schwerer kontrollierbar. Es braucht keine großen organisatorischen, technischen oder gar finanziellen Ressourcen mehr, um Informationen einer breiten Masse von Personen zugänglich zu machen. Jeder kann zum Sender, zum Meinungsbildner werden, zugleich sind diese Informationen für interessierte Empfänger immer nur einen Klick entfernt. Gerade die sozialen Medien eröffnen es jedermann, Neuheiten zu distribuieren und die entstehenden dezentral organisierten Netzwerke zur spontanen Meinungsabstimmung und Verabredung von Aktionen zu nutzen.


1. Arbeitsteilung und private Organisation

Möglich wird dies durch die arbeitsteilige Struktur des Internets, in der die technischen Leistungen für Vorhaltung, Transport und Organisation von Inhalten, wie auch die Orientierung darin, von unabhängigen Dienstleistern übernommen werden. Die sogenannten Intermediäre erfüllen eine wesentliche Garantiefunktion für die freiheitsstiftende Wirkung des Netzes. Zum Wesen des Internets gehört, dass die allermeisten seiner Elemente, sowohl auf Netz- als auch auf Diensteebene, heute von privaten Unternehmen oder sonstigen privat organisierten Institutionen bereitgestellt werden und dass sich die Akteure in ihrem Zusammenwirken wiederum privat und weitgehend frei von staatlicher Steuerung organisieren. Die private Organisation und der Umstand, dass gerade viele kleine Dienstanbieter Teil des Gesamtnetzwerks sind und darin Funktionen übernehmen, tragen wesentlich zu der stark ausgeprägten Freiheitskultur des Netzes bei. Was man selbst geplant hat, möchte man auch frei nach eigener Entscheidung einsetzen können und nicht der Bevormundung durch staatliche Institutionen unterworfen sehen. Verbunden mit dem Wunsch nach autarker Organisation entstanden ein hoch entwickeltes Verantwortungsgefühl und die Bereitschaft, den verschiedenen Bedürfnissen der unterschiedlichen Beteiligten bestmöglich Rechnung zu tragen. Die auf breite Stakeholder-Dialoge angelegten Prozesse der Internet Governance im Rahmen von ICANN, IGF, W3C etc. zeugen davon.


2. Das Erfordernis der Wirtschaftlichkeit

Die private Organisation des Netzes und seiner Einzelbausteine bedeutet, dass ihr Vorhandensein nicht staatlich garantiert, sondern von der individuellen Entscheidung der einzelnen Akteure abhängig ist, ob sie diese Leistungen erbringen wollen. Wie wesentlich die Entschlüsse privat organisierter Intermediäre sein können, wird deutlich, wenn man einen Blick auf die Geschehnisse im „Arabischen Frühling“ wirft: Ohne funktionierende Netze, ohne Twitter, Facebook und viele andere privatwirtschaftlich organisierte Kommunikations- und Informationsdienste hätten die Vernetzung der Aktivitäten vor Ort und auch die weltweite Anteilnahme an den Geschehnissen nicht stattfinden können. Eines darf man jedoch nicht aus dem Auge verlieren: In der Regel werden die Leistungen von privaten Akteuren nur zur Verfügung gestellt, wenn hierfür ein gewisser wirtschaftlicher Anreiz besteht, zumal die Vorhaltung der technischen Infrastrukturen mit erheblichen Investitionen verbunden ist. Das Gewinnstreben ist als solches nicht kritikwürdig – vielmehr gehört zu unserem Verständnis der Freiheit gerade auch die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung. Und die Geschichte hat gezeigt, dass eine funktionierende Demokratie am Ende nur in Verbindung mit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung gelingen kann. An mancher Stelle vermisst man in netzpolitischen Debatten – wenn etwa Bereitstellungs- oder Zugangskonditionen für Dienste diskutiert werden – das Zugeständnis, dass überhaupt eine Refinanzierung der für den Dienst notwendigen Investitionen erreichbar sein muss. So nachvollziehbar der Wunsch nach möglichst freiem Zugriff für jedermann auf Dienste und Inhalte im Internet ist, und sosehr sogar ein erster Anschein nahelegt, dass der schrankenlose, jedem gleichermaßen mögliche Zugang nützlich für die Demokratie sein könnte – sosehr muss man auch anerkennen, dass es nichts nützt, wenn damit die Axt an die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Diensten gelegt wird, sodass diese in der Folge womöglich überhaupt nicht mehr angeboten werden.


3. Offenheit für künftige Entwicklungen

Zur Grundlage für eine freie wirtschaftliche Betätigung gehört allerdings mehr als nur die Möglichkeit, Investitionen zu amortisieren und am Ende auch Geld zu verdienen. Wichtig erscheint daneben die Chance der kontinuierlichen Weiterentwicklung, was schon allein unverzichtbar sein kann, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die gewöhnlichste Form der Weiterentwicklung ist für Unternehmen das Größenwachstum als Folge wirtschaftlichen Erfolgs. Größe führt gerade in der IT zu Skaleneffekten, durch die hohe Investitionen und Innovationen erst amortisierbar und dadurch für die Breite der Nutzer verfügbar werden. In der Öffentlichkeit begegnet Größe jedoch häufig großen Vorbehalten, unabhängig davon, ob es Anhaltspunkte gibt, dass die Größe tatsächlich zum Nachteil von Wettbewerb oder anderen öffentlichen Interessen missbraucht wird. Eine andere Form der Weiterentwicklung liegt in den konstanten Fortschritten von Technik und Geschäftsmodellen. Zur wirtschaftlichen Freiheit im Internet sollte gerade auch die Möglichkeit zählen, das Netz selbst und die darüber realisierten Dienste mit neuen Ideen, mit neuen Technologien und nicht zuletzt mit neuen Kooperationen weiter auszubauen. Trotzdem begegnet man gelegentlich in der Debatte über das Netz und seine Regulierung einer Tendenz, Dinge partout in ihrem jetzigen Zustand bewahren zu wollen und so dem technologischen Wachstum einen Riegel vorzuschieben. Dahinter steht die individuell durchaus nachvollziehbare Sorge, dass einzelne Akteure durch die Entwicklung in ihren erworbenen Besitzständen gefährdet werden. Aber ist nicht der stetige Wandel eines der wesensbestimmenden Merkmale des Netzes? Bildet nicht gerade die disruptive Wirkung neuer Technologien und Geschäftsmodelle den Kern seiner Entwicklung? Sicher hat das gerade auch für viele Wirtschaftsakteure schon ein schmerzhaftes Erwachen und an mancher Stelle sogar den Untergang bedeutet, wenn sie zu spät auf die neuen Anforderungen reagierten. Lag am Ende aber nicht darin oft die Basis für die vielen positiven Veränderungen, die wir erleben durften, selbst wenn diese zunächst von dem alten Ufer, an dem wir alle noch standen, nicht erkennbar waren?

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Dr. iur. Wolf Osthaus ist Senior Vice President Regulatory & Public Policy des Unitymedia KabelBW. Bis 2013 war er als Sachverständiger Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ und u.a. Legislative Counsel Europe für eBay und Bereichsleiter für Telekommunikations- und Medienpolitik des BITKOM e.V. Wolf Osthaus ist zudem Lehrbeauftragter an der Universität Göttingen.


4. Rechtssicherheit für Intermediäre

Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt für die privatwirtschaftliche Bereitstellung von Internetdiensten ist die Begrenzung von damit verbundenen Rechtsrisiken. Für Intermediäre ergeben sich hier mehrfache Herausforderungen: Die eine ist nur eine weitere Folge der arbeitsteiligen Struktur des Netzes: Die Intermediäre übernehmen wesentliche Beiträge für die Bereitstellung, den Transport und die Organisation fremder Inhalte, ohne diese zu kennen oder kontrollieren zu können. In der Regel verhalten sich die Intermediäre dabei, egal ob als Transporteur, Hoster oder Plattformdienst, agnostisch gegenüber den Inhalten Dritter. Die daraus resultierende Neutralität besitzt einen hohen Wert, gewährleistet sie doch Schutz vor unbilliger Einflussnahme. Im Falle von rechtsverletzenden Inhalten Dritter sehen sich die Intermediäre allerdings schnell selbst Maßnahmen von öffentlichen Stellen oder Forderungen von Privaten nach Unterlassung oder gar auf Schadensersatz konfrontiert. Solche Schritte liegen nahe, weil es oft viel leichter erscheint, den institutionell organisierten Intermediär anzugehen, als den eigentlichen Urheber aufzuspüren und ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Man sollte sich allerdings klar sein, dass man damit die Hand an das System des Internets selbst legt. Denn die Sorge, plötzlich für das nicht einmal bekannte Tun Dritter gerade stehen oder zumindest weitreichende Überwachungsaufgaben übernehmen zu müssen, kann die Bereitschaft (und die wirtschaftliche Tragfähigkeit), überhaupt noch diese an sich für Freiheit und Demokratie so nützlichen Dienste anzubieten, nachhaltig in Frage stellen. Zumindest in den westlichen Rechtsordnungen ist die Neutralität der Intermediäre durch ein entsprechendes System der Nichtverantwortlichkeit für fremde Inhalte abgesichert, solange sie nicht aktiv Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Inhalts haben oder willentlich beim Rechtsverstoß mitwirken. Dieses System gilt es zu bewahren und vor Aushöhlungen zu schützen, auch um den Preis, dass im Einzelfall die Rechtsdurchsetzung mühsamer wird. Doch nur so vermag das sehr viel grundsätzlichere und übergreifende Interesse an der Existenz dieser Dienste geschützt zu werden. International agierende Unternehmen können sich aber keineswegs überall auf einen vergleichbaren Schutz für Intermediäre verlassen. So wird die Diensteerbringung schnell nicht nur zur wirtschaftlichen, sondern auch zur rechtlichen und am Ende sogar moralischen Herausforderung. Zwar muss jedes Unternehmen bestrebt sein, sich an geltendes Recht zu halten, aber im globalen Netz ist allein die Frage, welches Recht eigentlich gilt, nicht trivial. Und es wird nicht einfacher, wenn einzelne nationale Rechtsordnungen von Wertentscheidungen oder schlicht Machterhaltungsinteressen geprägt sind, die zumindest unserem demokratischen und freiheitlichen Verständnis widersprechen. Um in diesen Konstellationen wenigstens etwas Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu erlangen, greifen die Diensteanbieter auf eine umfangreiche eigene Definition von Nutzungsbedingungen als Grundlage für die Inan-spruchnahme ihrer Dienste zurück. Von manchen wird die damit verbundene Definitionshoheit als Anmaßung empfunden sowie als mangelnde demokratische und rechtsstaatliche Kontrolle kritisiert.


5. Öffentliche Kontrolle, Werte und Vertrauen

Doch heißt das keineswegs, dass damit im Internet ein kontrollfreier Raum entstünde, in dem einseitig Bedingungen diktiert werden. Selbst wenn eine staatliche Kontrolle der Nutzungsbedingungen infolge unklarer internationaler Zuständigkeiten und einer nur begrenzten Prüfung vertraglicher Inhalte nicht umfassend sein kann, so sorgt das Internet selbst hier schon für ein Korrektiv. Denn es schafft die Transparenz, die Verfügbarkeit von Informationen und vor allem die neuen Möglichkeiten zur – auch koordinierten – Meinungsäußerung, die jedes Fehlverhalten sehr schnell sichtbar und angreifbar werden lassen. Vor diesem Hintergrund ist es für öffentlich wahrgenommene Akteure, egal ob Politiker, NGO oder Unternehmen, unverzichtbar, sogar öffentlich Rechenschaft über ihr Verhalten und ihre Entscheidungen abzulegen. Das setzt aber voraus, dass man sich über die leitenden Werte für sich selbst klar sein muss, diese kommuniziert und am Ende zu ihnen steht, wenn es zum Schwur kommt. Und dass die Öffentlichkeit der sozialen Medien durchaus in der Lage ist, diesen Prozess notfalls recht unbarmherzig zu begleiten, hat sich schon vielfach gezeigt. Dabei gibt es nicht immer nur die eine richtige Wahl oder den einen richtigen Weg. So kann die Entscheidung für viele Internetunternehmen, ob sie mit ihren Diensten in weniger freiheitlichen Staaten präsent sein wollen und in welchem Umfang sie möglicherweise staatliche Vorgaben akzeptieren, um ihre Präsenz zu sichern, eine sehr schwierige sein. Denn wer mag festlegen, ob es richtig ist, bestimmte Einschränkungen in Kauf zu nehmen, damit der an sich freiheitsstiftende Dienst überhaupt noch verfügbar bleibt, oder in absoluter Konsequenz zu den eigenen Überzeugungen zu stehen, sich zurückzuziehen und sodann für die Menschen in bestimmten Ländern kaum mehr erreichbar zu sein. Zu diesen Fragen muss jeder Anbieter sein eigenes Urteil fällen, muss für sich Werte definieren, aber auch akzeptieren, dass hierüber öffentlich Rechenschaft gefordert und eventuell eine heftige politische Debatte geführt wird. Diese neue Form einer direkten öffentlichen und letztlich demokratischen Kontrolle ist der Preis für die zusätzliche Verantwortung, die die überwiegend private Organisation des Netzes mit sich bringt.


6. Fazit

Das Internet fördert in vielerlei Form Freiheit und Demokratie. Staatsferne und Selbstorganisation tragen wesentlich dazu bei. Wir sind daher gut beraten, auch zukünftig im Zweifel Freiheit und Offenheit nach vorn zu stellen und Regulierungen, Beschränkungen und Bestandssicherungen auf das Notwendigste zu beschränken. Dies erfordert eine Bereitschaft zum Risiko. Die einzelnen Akteure müssen sich das Vertrauen erarbeiten, die ihnen gewährte Freiheit verantwortlich wahrzunehmen und zu ihren grundlegenden Werten zu stehen. Doch ist kein blindes Vertrauen zu erwarten: Vielmehr sorgt gerade die durch das Netz entstehende Transparenz und die Macht der Öffentlichkeit in den sozialen Medien für eine wirksame Kontrolle selbst privaten Handelns, die bei Bedarf dafür sorgt, dass Fehlentwicklungen aufgedeckt, reflektiert, diskutiert und allein darüber schon abgewendet werden können.

  1. Der Text gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder.
Autoren
Lorena Jaume-Palasi
Lorena Jaume-Palasi
Sebastian Haselbeck
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