Internet, Recht Internetrecht und die Medien
Internet, Recht Internetrecht und die Medien
Replik: Parlament und Regierung
Prof. Dr. Angela Kolb, Ministerin der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt
Das Internet ist in seiner bestehenden Form das Ergebnis einer Entwicklung, die kaum rasanter hätte verlaufen können. Es ist aus dem Arbeitsleben und dem Alltag nicht mehr wegzudenken. In weniger als einem Jahrzehnt ist das Netz zum wichtigsten Massenmedium geworden, das die herkömmlichen Publikationsund Informationsmittel ergänzt, ersetzt oder sogar hinfällig hat werden lassen.
Dies hat ganz besondere Herausforderungen an Recht und Politik herangetragen. Plötzlich hat sich herausgestellt, dass die traditionellen Kategorien der juristischen Dogmatik und die Einflussmöglichkeiten der politischen Entscheidungsträger nicht mehr allein ausreichen, um die sich stetig vergrößernde „Datenwolke“ in den Griff zu bekommen. Sie ist in mehrfacher Hinsicht nicht greifbar. In ihr vereinen sich zusehends die gesammelten Informationen der gesamten Menschheit. In jeder Sekunde treten zahllose Informations- und Kommunikationsdaten hinzu; nicht immer lässt sich die Quelle zuordnen, geschweige denn ihre Echtheit bzw. ihr Wahrheitsgehalt feststellen. Zudem verfolgt nicht jeder User ausschließlich edle Absichten oder geht mit dem Wunsch nach geistreicher Unterhaltung ins Internet. Oftmals geht es um wirtschaftliche Interessen, um die Erschließung neuer Märkte.
Dies ruft nicht nur einfallsreiche Strategen auf den Plan, sondern auch so manch einen Vertreter, der unter dem Deckmantel vermeintlicher Anonymität kriminelle Ziele verfolgt. Die Wirtschaftsdelinquenz hat dadurch ebenso ein neues Gesicht bekommen wie der internationale Terrorismus oder die Mechanismen zur Anbahnung sexuell motivierter Kriminalität.
Allerdings ist es in der Geschichte schon immer so gewesen, dass jeder Fortschritt mit einer negativen Kehrseite behaftet war; sinnbildlich sei hier nur die Erfindung des Dynamits genannt. Die Verbreitung von Daten hat freilich eine Sprengkraft, die teilweise eher subtil oder zunächst einmal gar nicht wahrnehmbar ist. Die Auswirkungen von Datenmissbrauch werden oft erst sehr spät erkannt oder zu einem Zeitpunkt, wenn die Verbindung zum ursprünglichen Problemherd lange gekappt ist. Dies stellt auch an die Rechtspraxis Fragen, deren Beantwortung aus dem bislang geschriebenen Recht vielfach nicht unmittelbar möglich ist. Die Medienwelt bleibt von diesem Phänomen nicht verschont.
Jede Rechtsetzung geschieht vor dem Hintergrund der jeweils vorgefundenen Realitäten. Das Internet wurde nicht einmal als theoretische Variante gedacht, als das Grundgesetz geschrieben wurde. Folglich bauen die Gewährleistungen der Informationsgrundrechte auf den hergebrachten Medien Rundfunk und Presse auf. Für beide ist charakteristisch, dass Informationserteilung und -gewinnung von einem Vermittler abhängig sind, der gewissermaßen als Bindeglied und Filter zwischen Informationsquelle und Informationsempfänger fungiert. Somit war der Informationsfluss von den Auswahlentscheidungen der Redaktionen in Sendeanstalten und Zeitungen abhängig; ihnen kam gerade im Hinblick auf diese besondere Rolle eine überragende Bedeutung für die Meinungsbildung in der Bevölkerung zu. Daraus folgte mit einer gewissen Zwangsläufigkeit eine Reihe von rechtlichen Rahmenbedingungen, deren Einhaltung für die Aufrechterhaltung einer bestimmten Pluralität und Ausgeglichenheit notwendig erschienen.
Bereits mit der Einleitung des digitalen Zeitalters verschwammen die Kriterien. Die Ressourcenknappheit, welche maßgeblicher Grund für die Statuierung starrer Maßgaben war, wich einer Vielfalt an technischen Möglichkeiten, durch die das zentrale Anliegen um ein möglichst ausgewogenes Angebot aus unterhaltsamen und berichtenden Inhalten zunehmend in Frage gestellt wurde. Stattdessen scheint sich eine aufgeteilte Medienkultur durchzusetzen, die – überspitzt formuliert – jedem Sonderinteresse den eigenen Sender oder die eigene Zeitschrift widmet.
Diese Entwicklung erreicht mit der Etablierung des Internet ihren vorläufigen Kulminationspunkt: Das Angebot ist so vielfältig wie die Charaktere der Menschen. Gleichwohl fällt der damit verbundene Umbruch geringfügiger aus, als man bei vordergründiger Betrachtung vermuten würde. Das One-to-many- Prinzip ist nicht flächendeckend durch das Many-to- many-Prinzip ersetzt worden.
Ja, im Internet gibt es unzählige Portale, die um Informationsvermittlung und Meinungsbildung bemüht sind. Keine Frage. Nicht alle aber sind von der gleichen Relevanz. Vieles geht im Überfluss der Angebote einfach unter und bleibt weitgehend unbemerkt. Natürlich ist jeder in der Lage, vom heimischen Sofa aus den eigenen Blog zu starten. Viele machen von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch. Tatsache ist aber auch, dass die Online-Ausgaben der gängigen Tageszeitungen und Zeitschriften diejenigen sind, die von den Usern am meisten besucht werden.
Die Redaktionen sind ihrer Einflussmöglichkeiten im Hinblick auf die Auswahl der für die Masse interessanten Themen also nicht verlustig gegangen. Es ist sicher so, dass Journalisten bestimmte Entwicklungen und Tendenzen im jeweiligen Meinungsspektrum mit Hilfe des Internets besser beobachten können; vielleicht sind sie angesichts der hohen Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen schneller zu einer Reaktion gezwungen, als dies früher der Fall war. Dennoch ist der Journalismus als filternde, prüfende und bewertende Instanz auch weiterhin gefragt. Daran hat sich nichts geändert. Ob man dies vor dem Hintergrund der neuen Rahmenbedingungen noch als Meinungsbildungsmonopol bezeichnen kann, mag dahinstehen.
Eine wirkliche Neuerung besteht darin, dass journalistische Beiträge im Netz unmittelbar kommentiert und diskutiert werden können. Dadurch könnte ein gewisser Opportunismus befördert werden: Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Online-Redaktionen im Duktus ihrer Berichterstattung – gleichsam in vorauseilendem Gehorsam – an das voraussichtliche Meinungsbild der User anpassen. Da sich aber auch die klassischen Print-Ausgaben der Zeitungen am Markt behaupten mussten und müssen, bringt auch hier das Internet keine erdrutschartigen Veränderungen mit sich. Es ist schlicht ein neues Medium, durch das Papier, Fernsehgerät oder Radioempfänger durch den Computer ersetzt werden.
Damit ist die Brücke zum Rundfunk geschlagen. Es gilt hier nichts anderes als in Bezug auf die Zeitungen. Die beliebtesten Streams im Netz sind dieselben wie diejenigen, die über terrestrische Frequenzen empfangbar sind. Natürlich gibt es unzählige Internet-Radiostationen. Sie führen nach wie vor ein Schattendasein. Der Kreis der jeweiligen Hörer ist kaum größer als der unmittelbare Freundeskreis des Betreibers. Eine Konkurrenz, die den sogenannten „Großen“ das Wasser reichen könnte, besteht nicht.
Dies soll nicht in Abrede stellen, dass es einzelne Internet-Portale gibt, die es abseits der klassischen Märkte und Anbieter zu erheblichem Einfluss gebracht haben. Deren Anzahl ist allerdings nach wie vor überschaubar.
Man könnte geneigt sein, auch WikiLeaks oder GuttenPlag in diese Kategorie einzuordnen. Jedoch bleibt abzuwarten, ob es sich dabei nicht doch nur um vorübergehende Erscheinungen handelt, die nach kurzfristig auf kochender Popularität schnell an Relevanz verlieren.
Es ist überhaupt zweifelhaft, ob sich diese Beispiele in das Many-to-many-Prinzip einordnen lassen, denn es handelt sich auch hierbei um Einzelportale, die lediglich die Kanalisierung einer bestimmten Haltung ermöglichen. Es gibt auch hier nicht viele Kommunikatoren, sondern einen einzelnen, der sich lediglich mit der Bündelung von Meinungen (wie bei GuttenPlag) oder Informationen (wie bei WikiLeaks) befasst. Der Unterschied zu dem, was in den Online-Ausgaben der Zeitungen lanciert oder umgesetzt werden könnte, ist eher gradueller Natur.
Es bleibt dabei: Soziale Netzwerke wie Facebook oder studiVZ sorgen für eine unsagbare Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen über Personen und Ereignisse. Das aber macht die hergebrachten Aufgaben und Funktionen des Journalismus nicht überflüssig. Nur das Tempo hat sich wesentlich erhöht.
Dadurch wiederum ist das Druckpotenzial gestiegen; nicht nur für die Redaktionen, sondern gelegentlich auch für die Protagonisten in Politik, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft. Die Welt ist einfach kleiner geworden. Das hat dazu geführt, dass Meinungen, Interessen und Ereignisse schneller bemerkt werden, als es früher der Fall war.
Dieser Entwicklung wird sich auch das Recht anpassen müssen, wenn es mit dem modernen Leben Schritt halten will. Die Prämissen sind dieselben geblieben: Die Rechtsordnung des Grundgesetzes basiert auf dem Prinzip der Freiheit. Aus Freiheit aber folgt Verantwortung. Dabei handelt es sich um Kehrseiten ein und derselben Medaille. Soll die Freiheit zugunsten aller bis zu einem kompossiblen Maximum aufrechterhalten bleiben, so legt dies Begrenzungen von vornherein nahe. Der Freiheitsbegriff würde eben in sein Gegenteil verkehrt, wenn er so weit ginge, dass die Auswahl- und Entscheidungsfreiheit der Adressaten durch ein eigenmächtiges Handeln einiger weniger Akteure ausgeschaltet werden könnte. Um derartige Szenarien zu vermeiden, bedarf es eines verlässlichen rechtlichen Rahmens. Und dieser hat sich an den Realitäten zu orientieren. Damit aber ist nicht mehr umschrieben als die seit jeher bestehende Aufgabe des Rechts.