Interview mit Stefan Münker
Interview mit Stefan Münker
“Die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem war nie starr. Ihr Verlauf hängt zudem immer davon ab, was in einem jeweiligen historischen und kulturellen Kontext als öffentlich und was als privat gilt.“ |
Phänomene, Szenarien und Denkanstöße
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Stefan Münker ist Medienwissenschaftler am Institut für Medienwissenschaft und Musikwissenschaft der Humboldt Universität Berlin, Publizist und unter anderem Autor von “Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die Sozialen Medien des Web 2.0.”
Was zeichnet die verfügbaren Daten/Informationen aus? Was ist das qualitativ Neue der Daten?
Abgesehen von der Tatsache, dass das Spektrum verfügbarer Daten in seiner medialen und technischen Diversität (von mesopotamischen Keilschrifttafeln zu digitalen Speichermedien) noch nie so groß war wie heute, ist das Spezifische gerade der im Netz digital verfügbaren Informationen ihre unspezifische Verfügbarkeit. Zu immer mehr Personen, Institutionen und Themen sind immer mehr Informationen in zerstreuten Dateien an verschiedensten Orten des Netzes gespeichert und dabei längst jedem zentralen Zugriff entzogen. Vielleicht mehr noch als die gigantische Menge der flottierenden Daten ist das Maß ihrer Zerstreuung das qualitativ Neue – weil es sie ebenso verfügbar wie unverfügbar macht.
Was für technische Möglichkeiten bestehen, mit diesen Daten umzugehen? Es gibt viele Möglichkeiten, digitale Informationen zu verwerten. Am interessantesten erscheint mir die beliebige Reproduzierbarkeit und (Re-)Kombinierbarkeit von Daten. Dieser Prozess schafft die Voraussetzung für innovative Gestaltung und Kreativität.
Was sind die wesentlichen Veränderungen von Öffentlichkeit?
Die klassische Öffentlichkeit der modernen Gesellschaft war ein Produkt der Massenmedien. Zeitung und Zeitschrift, Radio oder Fernsehen wiederum sind Medien der Öffentlichkeit im doppelten Sinn: Sie sind als Mittel zur Artikulation von Öffentlichkeit zugleich Mittel zur Herstellung einer von ihnen unterschiedenen und unabhängigen Öffentlichkeit – der Öffentlichkeit der Leser, Hörer und Zuschauer, die im Diskurs über die gelesenen, gehörten oder gesehenen Informationen Meinungen ebenso austauschen wie bilden.
Anders als die elektronische Öffentlichkeit der Massenmedien hat die digitale Öffentlichkeit keine Leser, Hörer oder Zuschauer, die von ihr prinzipiell zu unterscheiden wären. Die Differenz: Hier sind die Medien, dort sind die Menschen – diese Differenz lässt sich in einem medialen Umfeld, das durch die Partizipation von aktiven Teilnehmern erst entsteht, eben nicht mehr machen. Die vielleicht wichtigste Konsequenz der heute sichtbaren Veränderungen lautet: Während die durch Massenmedien institutionell konstituierte Öffentlichkeit in erster Linie als Vermittlungsinstanz zwischen den getrennten gesellschaftlichen Sphären von Politik, Ökonomie und Zivilgesellschaft gewirkt hat (und so auch noch fortwirkt), sind die im Netz entstehenden Öffentlichkeiten zum einen (noch) nur selten institutionell verankert, zum anderen und vor allem vermitteln sie nicht zwischen getrennten gesellschaftlichen Sphären – sie vermischen diese vielmehr. Die Öffentlichkeit im Netz fördert die Durchlässigkeit bestehender Grenzen ebenso wie die Transparenz starrer Strukturen – und sie bringt dadurch das etablierte Gefüge der gesamten Gesellschaft durcheinander.
Wer entscheidet im Einzelfall, wo die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem verlaufen?
Die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem war nie starr. Ihr Verlauf hängt zudem immer davon ab, was in einem jeweiligen historischen und kulturellen Kontext als öffentlich und was als privat gilt. Die historische und kulturelle Variabilität ist enorm – und tatsächlich wird das Begriffspaar aufgrund der gegenwärtigen Entwicklungen im und durch das Internet in neue Konstellationen gebracht.
Für die Entscheidung im Einzelfall ist das relevant insofern, als eben die Frage, ob eine preisgegebene Information als privat überhaupt gilt, längst nicht gesellschaftsweit (geschweige denn weltweit) konsensual beantwortet wird. Vor diesem Hintergrund gilt: Im Einzelfall entscheidet einerseits der jeweilige gesellschaftliche Akteur (ein Publikationsmedium etwa, oder ein soziales Netzwerk) durch die an Bedingungen geknüpfte Vergabe von Zugangsoptionen über Publikationsoptionen – und legt z.B. in seinen Geschäftsbedingungen dabei fest, was ihm als veröffentlichbar überhaupt gilt. Alles andere bleibt per Ausschluss privat. Andererseits hat der private Akteur (als Nutzer eines Netzwerks beispielsweise) die Möglichkeit, im Einzelfall Exklusionsoptionen wahrzunehmen (opt-out Regeln, o.ä.), und mit dem Widerspruch zur Veröffentlichung bestimmter Daten ihre Privatheit für sich persönlich zu definieren.
Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Identität und Öffentlichkeit und welche Spielarten gibt es?
Welche Identität? Die der Gesellschaft – oder die ihrer Mitglieder? Die Art und Weise einer jeweiligen Gesellschaft ist ebenso abhängig von wie konstitutiv für die Art und Weise ihrer jeweiligen Öffentlichkeit. Verändern können sie sich nur gemeinsam. Für die individuellen Mitglieder einer Gesellschaft ist die jeweilige Öffentlichkeit ein elementares Medium zur Teilhabe – an Informationen ebenso wie an Diskussionen. Die Art der Öffentlichkeit entscheidet über die Art der Teilhabe: passiv wie zu Zeiten der Massenmedien oder (potentiell) aktiv wie im digitalen Netz. Wer sich als Teil einer Gesellschaft zugleich über die Teilhabe an dieser identifiziert, für den ist jeder Wandel der Öffentlichkeit ein entscheidender Faktion seiner Identitätsbildung.
Welche (Arten von) Informationen willst Du freigeben? An wen? Warum?
Persönliche Informationen zu filtern und ihre Freigabe zu kontrollieren ist Teil der Art von Identitätsmanagement, die eine immer größere Bedeutung in unserer immer vernetzteren Welt spielt. Die Kompetenz dazu freilich scheint mir bei vielen, gerade auch vielen jungen Akteuren deutlich unterentwickelt. Ich persönlich gebe Informationen sehr freigebig, aber zugleich stark gefiltert und ebenso kontrolliert preis – d.h. verschiedene Daten und Datenarten in verschiedenen Kontexten und Gruppen.
An welchen Orten/Portalen gibst Du Daten preis?
Müsste es hier nicht umgekehrt heißen: an welchen Orten gibt man keine Daten preis?
An welchen Informationen über mich hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse?
„Die“ Öffentlichkeit gibt es nicht. Deswegen kann es auch keine eine Öffentlichkeit geben, die ein berechtigtes Interesse an irgendwelchen Informationen hat. Dennoch: Die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse an Information über einzelne Individuen überhaupt nur dann, wenn diese Informationen auch gesellschaftlich relevant sind.