Multistakeholder Governance als politisch-rechtliche Innovation
Multistakeholder Governance als politisch-rechtliche Innovation
Replik: Privatwirtschaft
Prof. Wolfgang Benedek, Karl-Franzens-Universität Graz
Der Beitrag von Holznagel/Schumacher über die Freiheit der Internetdienste eröffnet neue Perspektiven für die Rahmenbedingungen eines zeitgemäßen Verständnisses der Meinungsäußerungsfreiheit im Internet. Hier bestehen grundsätzlich zwei mögliche Ansätze: entweder die ausdehnende Interpretation bestehenden Rechts oder die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens.
So wird derzeit im Europarat und in einer globalen Koalition von Akteuren aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft, den Staaten und internationalen Organisationen im Sinne eines Multistakeholder-Ansatzes an einem Katalog von Rechten und Prinzipien für die „Governance“, die Steuerung des Internets, gearbeitet. Grundlage bilden die Menschenrechte, wie insbesondere das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit, aber auch das Recht auf Privatleben und Datenschutz oder das Recht auf gleichen Zugang zu einem sicheren und offenen Internet.
Während der Europarat, der in der Vergangenheit schon mit mehreren Richtlinien für das Internet hervorgetreten ist, das Schwergewicht auf die Prinzipien der „Internet Governance“ legt, hat die Koalition den ersten Entwurf einer Charta der Menschenrechte und Prinzipien für das Internet ausgearbeitet, auf deren Grundlage sie mit zehn Rechten und Prinzipien für das Internet an die internationale Öffentlichkeit getreten ist.
Daraus ist zweierlei ersichtlich: Einerseits, dass mit der Bedeutungssteigerung des Internets ein Bedarf nach mehr Orientierung, nach Regulierung im Konsens, auf internationaler Ebene entstanden ist, dem die verschiedenen Ansätze Rechnung zu tragen versuchen, und andererseits, dass dabei auch neue Rechte und Prinzipien formuliert werden müssen, da eine Ausdehnung des bestehenden Rechts im Sinne „Was offline gilt, soll auch online gelten“ nicht ausreicht. Das zeigt sich insbesondere in der Diskussion um ein Recht auf gleichen Zugang zum Internet. Einige Länder haben ein solches bereits auf nationaler Ebene geschaffen, auch die Europäische Union hat derartige Pläne, letztlich aber geht es um ein weltweites Menschenrecht, das sich aus anderen Menschenrechten, wie etwa dem Recht auf Bildung, die für ihre volle Erfüllung auf die Nutzung des Internets zunehmend angewiesenen sind, ableiten lässt.
Zurück zum Thema der Freiheit der Internetdienste: Die Argumentation von Holznagel und Schumacher, dass eine unbesehene Übertragung der Ordnungsprinzipien der Rundfunkfreiheit auf das Internet aufgrund dessen unterschiedlicher Natur nicht zweckmäßig und daher eine eigene „Freiheit der Internetdienste“ wünschenswert wäre, ist durchaus nachvollziehbar. Damit könnte den Besonderheiten der Internetkommunikation Rechnung getragen werden, die von den Autoren eindrücklich beschrieben werden. Auch eine rezente Untersuchung über ein „Recht auf Internet“ kommt für Deutschland zum Ergebnis, dass das Grundgesetz hinsichtlich des Internet als „Massenmedium“ nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist[1].
Das Internet hat neue Möglichkeiten demokratischer Meinungsbildung und Äußerung mit sich gebracht, die erst jüngst in den Demokratiebewegungen im arabischen Raum ihren eindrucksvollen Einsatz fanden. Auch der Europarat hat mit seiner Empfehlung über Maßnahmen zur Förderung der Bedeutung des Internets als öffentliche Dienstleistung von 2007 das Potential der Nutzung des Internets für Demokratie und Bürgerbeteiligung hervorgehoben[2].
Das Internet kann damit einen wichtigen Beitrag zur auf staatlicher wie auch europäischer Ebene erwünschten stärkeren Beteiligung der BürgerInnen an den öffentlichen Angelegenheiten beitragen. Eine Besonderheit des Internets ist seine dezentrale Natur, die es auch gegen staatliche Beschränkungen und wirtschaftliche Interessen schützen kann, auch wenn hier zunehmend Gefahren drohen.
Gerade deshalb stellt sich die Frage der Interpretation von Art. 5 Grundgesetz im Sinne einer allgemeinen Medienfreiheit, die auch die Internetdienste einschließen soll. Angesichts zunehmender Praktiken autoritärer Regierungen, Webseiten und Blogs großteils unter Verwendung westlicher Technologie zu filtern oder gar zu blockieren, wäre dies ein Beispiel guter Praxis. So heißt es auch in der Grundrechtecharta der EU in Art.11 (2) ganz klar: „Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.“
Der Europarat wiederum hat in seiner grundlegenden Ministererklärung von 2009 über „ein neues Konzept der Medien“ die Frage gestellt, ob unser Verständnis von Medien in der neuen Informationsgesellschaft noch gültig sei, und beschlossen, dass es einer Überprüfung im Hinblick auf die neuen Medien und medienartigen Dienstleistungen der Massenkommunikation sowie der Dienstleistungsanbieter bedürfe, wozu ein Aktionsplan verabschiedet wurde[3].
Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Netzpolitik oder die Tätigkeit von Suchmaschinenbetreibern sind ebenfalls bereits internationale Richtlinien im Rahmen des Europarates entwickelt worden bzw. stehen solche in Entwicklung[4]. Dies zeigt auch, dass diese Thematik staatlicherseits nur in enger Kooperation mit anderen Akteuren auf europäischer und internationaler Ebene geregelt werden kann und soll, wobei der Grad der Verbindlichkeit zur staatlichen Ebene hin zunimmt. Insgesamt würde eine Freiheit der Internetdienste neue kreative Impulse für die Meinungsäußerungsfreiheit und die Informationsfreiheit bedeuten.
- ↑ Siehe Kai v. Lewinski, Recht auf Internet, in: Rechtswissenschaft, Heft 1 (2011), 70 – 94.
- ↑ Recommendation of the Committee of Ministers to member states on measures to promote the public service value of the Internet, CM / Rec (2007) 16.
- ↑ A new notion of media? political Declaration and Action plan, 1st Council of Europe Conference of Ministers responsible for Media and New Communication Services, Reykjavik, 29 May 2009, MCM (2009) 011.
- ↑ Renate Kicker (ed.), the Council of Europe, pioneer and guarantor of human rights and democracy, Council of Europe, Strasbourg 2010, 109-116.