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Praktische Voraussetzungen für das Internet als Instrument der Demokratie

Praktische Voraussetzungen für das Internet als Instrument der Demokratie

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Erich Schweighofer, Universität Wien

Kernaussage

Im globalen Kontext steht die menschenrechtliche Verankerung des Internets als Forum globaler Kommunikation der Zivilgesellschaft im Gegensatz zur Souveränität der Staaten. Multi-Stakeholder-Ansatz und Accountability sind zwar unzureichend, aber zumindest ein Schritt in die richtige Richtung einer globalen Demokratie. Für eine positive Weiterentwicklung globaler Regulierung müssen ausreichende Freiräume für die globale Zivilgesellschaft erhalten bleiben.


Menschenrechte vs. staatliche Souveränität

Die rechtlichen und ethischen Grundlagen des Internets als Instrument der Demokratie hat Julian Nida-Rümelin eindrucksvoll dargestellt. Unzweifelhaft sind in den letzten 60 Jahren wesentliche Fortschritte für die Stärkung der Menschenrechte erzielt worden. Die Gründung von Menschenrechtsgerichtshöfen und deren fortschreitende Praxis haben das Individuum als Völkerrechtssubjekt gestärkt und den Humanismus als Leitkultur etabliert. Der Zugang zum Internet kann daher unter dem Recht auf internationale Kommunikation subsumiert werden und darf nur unter den in Menschenrechtsinstrumenten vorgesehenen Voraussetzungen (z.B. Artikel 10 EMRK) entzogen werden. Der Weiterentwicklung des Internets als Kommunikationsplattform steht aber in jüngerer Zeit die Betonung staatlicher Souveränität entgegen, wobei diese effektiv durchgesetzt wird (z.B. Great Firewall of China). Der „Neue gTLD“-Prozess ist illustrativ für diesen Gegensatz. Jedoch auch in der ITU sind Bestrebungen im Gange, das Internet wieder dem staatlichen Regulierungsmodell zu unterwerfen.


Grenzen globaler Demokratie

Als Informationsinstrument ist das Internet unbestritten. Als Mittel der Beratung und Konsensfindung bedarf es eines Modells einer globalen Demokratie. Während es für Staaten eine funktionierende Praxis für die Volksherrschaft gibt, ist die Aufgabe für die Menschheit als Ganzes noch ungelöst. Anne-Marie Slaughter[1] bezeichnet dies als Paradox der Globalisierung. Obwohl die Globalisierung ständig zunimmt, ist eine Weltregierung unrealistisch, weil (noch) keine entsprechende Repräsentation aller Menschen verwirklicht werden konnte und daher die Macht einer Weltregierung eine Gefahr für die individuelle Freiheit darstellen würde. Globale Fragen werden mithin durch ein modifiziertes Westfälisches System geregelt. Die wichtigste Rolle kommt nach wie vor den Staaten zu, aber die jeweiligen Kooperations- und Entscheidungsforen – internationale Organisationen, Konferenzen, informelle Gruppen – gewinnen stärker an Bedeutung und beziehen zunehmend die internationale Zivilgesellschaft mit ein. Dies wird durch die wachsende dezentrale Partizipation der Staaten unterstützt, weil nunmehr immer mehr staatliche Organe auch Außenbeziehungen pflegen. Diese Foren sind allerdings ständiger Kritik hinsichtlich ihrer Verantwortlichkeit und Rechenschaftslegung (Accountability) ausgesetzt, weil internationale Legitimität nicht mehr alleine auf die Staatengemeinschaft gestützt werden kann und soll.


ICANN-Modell

Dieser komplexen Situation entspricht der Multi-Stakeholder-Ansatz der ICANN, wobei als wesentliche Säule die Zivilgesellschaft und nicht mehr die Staatengemeinschaft gesehen wird. Der Accountability kommt folglich eine tragende Rolle zu[2]. Eine Schwäche des Modells liegt darin, dass die Repräsentation in diesem Prozess von Macht und Aktivität getragen wird und es für die internationale Zivilgesellschaft schwierig ist, sich in gleicher Weise wie Regierungen oder die Wirtschaft zu organisieren. Der Multi-Stakeholder-Ansatz scheint nach wie vor der tragenden Rolle der USA als Garant des Systems zu bedürfen.

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Prof. Erich Schweighofer ist ao. Univ-Professor und Leiter der Arbeitsgruppe Rechtsinformatik. Er lehrt Rechtsinformatik, Europa- und Völkerrecht und forscht u.a. über Internet Governance, Datenschutz, Überwachungstechnologien, juristisches Information Retrieval und elektronische Identitäten. Er organisiert das Internationale Rechtsinformatik Symposion und ist Co-Herausgeber der Jusletter IT.


Weitere faktische Voraussetzungen

Demokratie im Internet erfordert aber nicht nur die freie internationale Kommunikation und funktionierende Partizipationsforen. Nicht alle Menschen haben einen Internetzugang und wenn, nicht ausreichend für eine intensive Partizipation. 2,4 Milliarden Internetnutzer sind gleichwohl sehr beeindruckend. Weiter ist die nötige Vertrautheit und Akzeptanz der IKT noch unzureichend gegeben. Die geringe Akzeptanz von E-Voting ist ein gutes Beispiel dafür. Als schwierigste Herausforderung ist die Bündelung und Wertung der unterschiedlichen und vielsprachigen Partizipation mit Millionen von Teilnehmern zu nennen. Hier müssen die jeweiligen Ideen noch wesentlich weiterentwickelt werden, um einen praktischen Einsatz zu erlauben.


Chancen und Risiken

Das ICANN-Modell ist ein guter Anfang. Es muss indessen noch mit mehr Leben erfüllt und auch ständig verbessert werden, wenn auf die tragende Rolle wichtiger Staaten wie die USA verzichtet werden soll. Trotz Betonung der Souveränität der Staaten haben sich diese bisher bei der Internetregulierung eher zurückgehalten und dies der Zivilgesellschaft überlassen. Zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Terrorismus wurde gleichwohl in vielen Staaten zur teilweisen Überwachung des Internets übergegangen (so z.B. in der EU zur Vorratsdatenspeicherung). Die Staaten haben aufgrund der territorialen Souveränität auch die Kontrolle über die physische Sicht des Internets (Kabel, Router etc.) und könnten das Internet als letzte Konsequenz für sich abschalten. Daher bedarf es des Korrektivs internationaler Regulierung, um genügend Freiräume für die globale Zivilgesellschaft zu belassen. Nur eine wirksame Zivilgesellschaft kann sicherstellen, dass der Beitrag des Internets zur Demokratie im jeweiligen Land bestehen bleibt. In Diktaturen ist das Internet zunehmend ein Instrument der Überwachung geworden, wie Nida-Rümelin richtigerweise betont. Hier sind kluge Regulierung und Erfindungsgeist erforderlich, um entsprechende Lücken staatlicher Kontrolle nicht vollständig einzuschränken.


Schlussfolgerungen

Wie Nida-Rümelin feststellt, ist das Internet ein wichtiges Instrument zur Stärkung globaler Demokratie, wofür eine internationale Kommunikationsfreiheit mit wirksamen Grenzen staatlicher Beschränkungen nötig ist. Zu nennen sind jedoch weitere Voraussetzungen: Internetzugänge für (fast) alle, ein funktionsfähiges Partizipationssystem und eine Internet Governance der globalen Zivilgesellschaft. Entscheidend ist langfristig die Etablierung der globalen Zivilgesellschaft und hier sind insbesondere ICANN und IGF aufgerufen, ihre Bemühungen in diese Richtung zu verstärken.

  1. Cf. Slaughter, A.-M. (2004): A New World Order. Princeton University Press.
  2. ICANN, Board Action on, and Implementation of, the Accountability & Transparency Review Team Final Report June 2011. URL: http://www.icann.org/en/accountability/atrt-report-25jun11-en.pdf, Stand: 30.04.2013.
Autoren
Lorena Jaume-Palasi
Lorena Jaume-Palasi
Sebastian Haselbeck
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