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Risiken neuer Monopole und mangelnde Transparenz bei Suchmaschinen und sozialen Netzwerken

Risiken neuer Monopole und mangelnde Transparenz bei Suchmaschinen und sozialen Netzwerken

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Discussion Papers > Grundrecht Internetfreiheit > Risiken neuer Monopole und mangelnde Transparenz bei Suchmaschinen und sozialen Netzwerken
MIND #1
Grundrecht Internetfreiheit
Inhaltsverzeichnis
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Replik: Parlament und Regierung

Thomas Jarzombek, 
Mitglied des Deutschen Bundestages

Einen sehr interessanten Diskussionsbeitrag haben Bernd Holznagel und Pascal Schumacher hier geleistet, der durchaus zur Kontroverse aufruft. Dem komme ich gerne nach.

So steht die These im Raum, das Internet sei pluralistisch aufgestellt. Als Beleg führt Prof. Holznagel niedrige Publizitäts- und Verbreitungsschwellen an, die Meinungsfreiheit mindestens befördern würden. Doch stellen wir alle das Phänomen fest, dass trotz der großen Vielfaltsmöglichkeiten eine starke Tendenz zur Monokultur im Internet besteht. Wie kann das sein? Es liegt an der extremen Verbreitungsgeschwindigkeit neuer Dienste und der mangelnden Offenheit vieler Systeme. Wer heute sucht, der googelt. Wer an soziales Netzwerken denkt, meint Facebook. Wer microbloggt, der twittert. Und gibt es wirklich einen Beweis, dass man auch anders als mit eBay auktionieren kann?

Dies hat starke Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit im Netz: Welche Meldungen von meinen 2000 Facebook-Freunden werden für mich sichtbar gemacht? Welche Algorithmen bestimmen dies? Sind die Systeme pluralistisch ausgelegt oder präsentieren Sie mir immer den gleichartigen Meinungsbrei? Ich weiß es nicht. Jedenfalls lese ich von Leuten, die nach geraumer Zeit nur noch Einträge mit ähnlicher politischer Ausrichtung wie der eigenen zu sehen bekommen. Was ist da los? Wir wissen es nicht, die Algorithmen sind geheim.

Nahtlos lässt sich das auf Suchmaschinen übertragen: Gab es da nicht Vorwürfe, Google würde seine eigenen kommerziellen Angebote pushen? Bekomme ich bei der Suche nach meinem Namen nur positive Fundstellen? Oder negative? Oder eine perfide getarnt gewichtete Auswahl? Gerne hätte man das überprüft, doch – Sie ahnen es – die Algorithmen sind geheim. Gibt es nun einen Redaktionsbeirat bei Google? Heiner Geißler als Vermittler bei algorithmischen Konflikten? Ich wüsste es nicht. Stelle sich einer vor, so würde das ZDF agieren. Oder ein Gremium des Deutschen Bundestages. Oje.

Daher wundert sich der gemeine Politiker, dass alle Transparenzforderungen der Netzgemeinde stets auf staatliche Gremien gerichtet sind. Dabei ist dort doch ohnehin nur das wenigste geheim. Und bleibt es meistens ohnehin nicht. Auch vor WikiLeaks. Aber welche Apps schlägt mir der iTunes Store vor? Und welche dürfen anhand welcher Kriterien nicht publiziert werden? Ich weiß es nicht. Sicher ist nur: Unverdeckte Busen kommen nicht gut an bei Steve Jobs.

Daher komme ich zu der Erkenntnis, dass das Netz nicht zwangsläufig ein Ort der Freiheit ist. Es könnte es sein, doch eine totale und vollständige Freiheit ist sehr anstrengend für die Nutzer. SEHR anstrengend. Und sie ist auch sehr anstrengend für die Internetaktivisten. Denn diese teilen die These von Prof. Holznagel: Netzneutralität muss die Freiheit Nummer 1 im Netz sein! Gibt es aber im Kontext des oben Geschriebenen nicht viel größere Gefahren als den perfiden Provider, der einfach das 1080i-hochauflösende Videoportal des kritischen Bloggers mit Rucklern verunstalten möchte? Vielleicht bin ich naiv, aber ist es nicht eine latent abstruse Vorstellung, die Deutsche Telekom würde die Milliarden Beiträge im Netz auf kritische Stimmen durchackern und genau diese erst zeitverzögert durchleiten?

Ohne auf die Frage einzugehen, wie schlimm es für einen Blog wäre, erst nach drei Sekunden anstatt nach einer Sekunde dargestellt zu werden – welche Instrumente braucht es eigentlich für die totale und vollständige Kontrolle der Netzneutralität? Diese Frage wird mir auch hier zu wenig beleuchtet. Denn bei Netzneutralität geht es doch nicht um weniger Staat, sondern um mehr Staat. Irgendeine neue Superbehörde müsste alle Provider ständig kontrollieren, um die Netzneutralität auch garantiert sicherzustellen. 24 Stunden am Tag. Will ich das? Ich weiß es nicht. So manche gute Ideen ist als bürokratisches Monster geendet und diese Gefahr ist hier nicht nur rein akademisch. Denn Vorsicht: Gesetzliche Netzneutralität wird am Ende nicht durch Internetaktivisten organisiert, sondern von Beamten verwaltet. Sage dann bitte keiner, er habe sich das ganz anders ausgemalt.

Zuletzt finde ich die Rolle der klassischen Journalisten im großen wilden Internet äußerst spannend. Denn die These von Prof. Holznagel, die Macht des Netzes und der Blogger ergebe sich durch das Netz selbst, wage ich jetzt einmal zu hinterfragen. Alle im Netz aufgedeckten Skandale bekamen erst dann einen Spin, als sie von den klassischen Medien aufgenommen wurden. Wie viele Abrufe hatte denn das GuttenPlag Wiki? Oder der investigative NRWBlog, der Jürgen Rüttgers so zu schaffen machte? Dies sind Quellen, aber keine Massenmedien.

Daher gilt alles das weiter, was zur Stützung der Meinungsfreiheit bei den klassischen Medien bislang gilt. Denn die ultimative Meinungsmacht geht immer noch von Fernsehen, Radio und Print mitsamt ihren Onlineablegern aus. Oder hätte Guttenberg so lange durchgehalten, wenn Bild schon am ersten Tag die Freundschaft aufgekündigt hätte?

Eine Gefahr für die Meinungsfreiheit ist aber heute eine ganz andere: der multitaskende Journalist. Ob Print, online, Video, Twitter, Blog......rrrr! Nochmehr Speed. Speeeeed! Schneller! Mehr Zeichen, mehr Medien, los, Tempo! Alles gleichzeitig! Schnell noch eine Kamera um den Hals gehängt! Dazu noch eben eine Notiz des Managements: Kurzfristig mussten wir siebzehn Redaktionen an einem Newsdesk zusammenlegen.

So, da freut sich der Abgeordnete, dass er mit dem multimedialen Terror nicht alleine ist. Doch wo bleibt die Muße zur Recherche? Das Nachdenken über Seriosität? Oder etwas ganz Irrwitziges: die Reflektion, ob das Aufspringen auf eine Kampagne im Netz überhaupt moralisch richtig und verantwortbar ist? Aber das braucht man ja heute gar nicht mehr: Die anderen haben es schon übernommen, da müssen wir das doch auch bringen! Ich entschuldige mich an der Stelle für den Einsatz von Ironie, der in der Politik ja brandgefährlich ist.

Also, man kann dies alles in der Praxis beobachten: „Immer auf die Omme“ schrieb der glücklose Boris Berger aus Rüttgers Regierungszentrale in einer E-Mail an den Generalsekretär. Intern, im Eifer des Gefechts an einen engen Vertrauten. Und nicht auf Twitter. Dennoch: Aufgetaucht in einem Blog, übernommen von einer Zeitung, am Ende in sämtlichen Leitartikeln von Zeitungen, die sich selbst als seriös definieren. Wäre ein solch plumpes und inhaltsleeres Zitat ohne das Netz früher in diese Zeitungen gekommen? Und was genau hat dies nun an Aufklärung in der politischen Debatte gebracht? Ich weiß es nicht, aber eine Verrohung der Sitten und Trivialisierung der Zeitungsberichte ist nicht leichtfertig von der Hand zu weisen.

Meinungsfreiheit. Sie ist ein hohes Gut. Vielleicht sogar das wichtigste in unserer Demokratie. Aber ist sie sicher? Wir müssen dies immer wieder aufs Neue erkämpfen. Gerade das Internet erfordert neue Wege und Mittel. Aber neben allen Mechanismen braucht es drei Dinge: Seriosität, Sorgfalt und Gewissen. Das fordere ich ein. Und darum sorge ich mich. Aber mir schwant, dies wird nicht mit einem Gesetz zu lösen sein.

Autor
Gordon Süß
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