Teilhabe ermöglichen
Teilhabe ermöglichen
Karola Wille, Mitteldeutscher Rundfunk (MDR)
Julian Nida-Rümelin hat in seinem lesenswerten Beitrag folgende These aufgestellt:
Je bedeutsamer die Internetkommunikation im Vergleich zu anderen Medien der Kommunikation jedoch wird und je größer der Anteil derjenigen, die an dieser teilnehmen, desto deutlicher heißt Ausschluss von der Internetkommunikation zugleich Einbuße essenzieller Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten.
Dieses Thema möchte ich gern aus Sicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgreifen. Die Medien erleben einen Umbruch, wie es ihn in dieser Tiefe und Rasanz kaum jemals gab. Der Wettbewerb verschärft sich und es treten völlig neue Mitbewerber zu uns in Konkurrenz – Google, Facebook, Apple und andere Internetkonzerne.
In der digitalen Medienwelt kann der Nutzer, wann er will, wo er will und wie er will, Inhalte abrufen. Völlig neue, global agierende Anbieter drängen in den Markt. Im Fokus eines existenziellen Wettbewerbs steht der Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Die Konvergenz der Medien ist jetzt real. In dieser hybriden Welt beginnt auch der Kampf um die Aufmerksamkeit im Wohnzimmer. Zwar werden die Menschen weiter Fernsehen schauen, aktuell im Durchschnitt rund vier Stunden am Tag, und die klassische Mediennutzung bleibt stabil, aber neue Angebote kommen hinzu. So tauscht sich fast jeder fünfte Internetnutzer mittels Chats oder sozialer Netzwerke über das aktuelle Fernsehprogramm aus. Diese Parallelnutzung von Fernsehen und Internet ist eine der zentralen neuen Entwicklungen – ein „Megatrend“.
Die Menschen werden nach wie vor Radio hören, aber die Auswahl und die Art der Nutzung verändern sich weiter. Smartphones, Tabletcomputer und Apps prägen zunehmend unser Informations- und Kommunikationsverhalten. Mobilität und Individualität dominieren die neue Medienwelt. Dem Konsumenten steht es offen, wann, wo, wie er will, Medien zu nutzen. Das alles sind keine vorübergehenden Erscheinungen und auch keine Fantasiebilder von Zukunftsforschern. Nein, die Digitalisierung wird unser aller Leben immer stärker beeinflussen. Das Internet wird nicht verschwinden, sondern unsere Gesellschaft und Öffentlichkeit noch tiefgreifender verändern, als wir es heute ahnen.
Die Internetwelt verändert auch und insbesondere die Art und Weise der gesellschaftlichen Kommunikation und damit die politischen Entscheidungsprozesse. Das Internet schafft die Voraussetzung für neue Formen von Einflussnahme, Abstimmung und spontaner politischer Organisation. In der arabischen Welt haben wir bereits gesehen, welche ungeheure Macht die sozialen Netzwerke entfalten können. Die sozialen Medien setzen neue Maßstäbe für Offenheit, Glaubwürdigkeit und Überprüfbarkeit. Kommunikation ist das Zauberwort der globalen Informationsgesellschaft. Sowohl wir Medien, aber auch Politik und Wirtschaft bekommen darin eine völlig neue Verantwortung. Jedoch müssen wir die Spielregeln dieser Netzdemokratie, dieser fließenden Meinungsbildung und Abstimmungs-prozesse erst lernen. Und wir müssen dafür sorgen, dass alle Bürger Teil dieser modernen Netzwelt werden, sonst drohen die gesellschaftliche Spaltung und ein demokratischer Legitimationsverlust. Die technische Innovation stellt uns dabei immer wieder vor neue Herausforderungen. In dem Maße, wie auf den neuen Flachbildschirmen im Wohnzimmer die gewohnten Programme und die Onlinewelt zusammentreffen, stellen sich die Fragen nach dem künftigen Zugang zu den Inhalten, nach der Nutzerführung und nach der Chancengleichheit.
Wenn Internetanbieter und Plattformbetreiber rein nach Renditegesichtspunkten entscheiden, welches Angebot an welcher Stelle platziert wird, dann ist das sicher legitim. Zugleich – und das ist auch wichtig – dürfen Chancengleichheit, Barrierefreiheit und freier Austausch dafür nicht geopfert werden. Will man diese Entwicklungen in der neuen Medienwelt zusammenfassen, dann sind es wohl folgende relevante Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen:
- die zunehmende Unübersichtlichkeit der Informationen
- eine zunehmende Schnelligkeit, zum Teil gepaart mit Verantwortungslosigkeit
- eine zunehmende Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft
Die Diskussion über den medialen Wandel ist somit auch immer eine Frage nach den medialen Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit unseres demokratischen Gemeinwesens. Für diese Aufgabe steht in allererster Linie der gesellschaftlich getragene und gemeinschaftlich finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk. Sein Wirken und seine Werte sind untrennbar mit dem Funktionieren einer Demokratie verbunden. Deshalb wird der öffentliche Auftrag nicht obsolet, sondern vielmehr steigt seine Relevanz in einer digitalen Welt. Ohne Qualitätsjournalismus kann freiheitliche Politik nicht funktionieren. Dieser Qualitätsjournalismus ist und bleibt somit unsere vornehmste Aufgabe. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss als wirtschaftlich und politisch unabhängiges Medium die freie Meinungsbildung fördern, er muss bilden und Wissen vermitteln; er muss dem gesellschaftlichen Diskurs Raum geben und den Menschen ihre Heimat nahebringen. Die Demokratie braucht mündige Bürger. Deshalb müssen gerade die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Entwicklungen in allen Lebensbereichen kompetent und sachgerecht wiedergeben. Wir müssen die Bürger für politische, wirtschaftliche und kulturelle Themen interessieren und komplexe Zusammenhänge verständlich machen. Wir haben eine öffentliche Übersetzerrolle. Und: Alle gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen, wie die Kirchen, Parteien oder die verschiedensten Verbände, müssen sich in unseren Programmen widerspiegeln. Sie sollen dort zu Wort kommen und die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Gesellschaft darstellen. Der MDR ist Garant für Vielfalt und hat dies tagtäglich unter Beweis zu stellen. Und dafür bietet uns die digitale Welt heute noch viel mehr Möglichkeiten als früher.
Der traditionellen Aufgabe des Journalismus, Informationen zu filtern und aufzubereiten, kommt eine noch größere Bedeutung zu. Gerade der Wettbewerb um die schnellste Nachricht kann indessen zu gravierenden Falschmeldungen führen. Entscheidende und zentrale Pflichten sind daher Verlässlichkeit und seriöse Recherche.
Wir wollen ein öffentliches Forum für Meinungsaustausch bieten. Wir wollen orientieren und einordnen. Wir wollen ein umfassendes Bild von der Wirklichkeit geben. Wir sind für alle frei zugänglich.
Ich bin davon überzeugt, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit diesem Selbstverständnis in der digitalen Welt behauptet, Teilhabe ermöglicht und seine feste Verankerung behält.