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10 Fragen über ICANN an Dirk Krischenowski

10 Fragen über ICANN an Dirk Krischenowski

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1. In a Nutshell: was ist ICANN?

Dirk Krischenowski: Für uns ist ICANN ein wirklich großes Experiment bei dem versucht wird, die globale Internet-Adressierung (Domains und IP-Adressen) und damit eine Basisinfrastruktur des Internets durch die Beteiligung aller relevanten Stakeholder sicher, aber auch fair zu managen.


2. Von ICANN wird immer wieder behauptet, sie sei der US Gerichtsbarkeit unterworfen. Wer reguliert denn ICANN?

DK: Zweifelsohne untersteht ICANN als kalifornische Firma der US-Gerichtsbarkeit. ICANN wird dennoch nicht in ihrer Geschäftstätigkeit reguliert, sondern von einem Team von Manager gesteuert, wie andere Firmen auch. Der Unterschied ist jedoch, dass das Management und der Aufsichtsrat sich vor Entscheidungen bei den verschiedenen Stakeholdern rückversichern. Dies sind Regierungen, Unternehmen und ihre Organisationen, Verbraucher und ihre Organisationen, Domaininhaber, Betreiber von Domainendungen, Technik- und Sicherheitsexperten, etc.


3. Und wie wird sie finanziert?

DK: ICANN wird prinzipiell aus Einnahmen aus den derzeitigen ca. 250 Millionen Domainregistrierungen finanziert, die von Privatpersonen, Unternehmen und anderen Organisationen gehalten werden. Jeder der am Internet teilnimmt finanziert damit mit einem kleinen Cent-Betrag die Arbeit von ICANN, sogar wenn er keine Domain selbst registriert hat, sondern nur E-Mail nutzt oder eine Webseite aufruft.

Offizielles ICANN Logo

4. Wer darf bei ICANN mitmachen? Und warum entwickelt ICANN erst jetzt eine „arabische und Afrika- Strategie“?

DK: Bei ICANN kann sich jeder einbringen, physisch auf den zahlreichen Meetings weltweit oder virtuell z.B. über E-Mail, Foren und Webinare. Da es im Verhältnis noch zu wenig Teilnehmer aus Afrika und aus vielen Ländern mit nicht lateinischen Schriftzeichen gibt, hat ICANN sich zum Ziel gesetzt, diese besonders in der Teilnahme an der Gestaltung der Tätigkeiten von ICANN und des Internets zu unterstützen.


5. ICANN wird als eine reine “Meldebehörde” angesehen, bei der jetzt eine Erweiterung der TLDs stattfindet. Warum werden die generischen TLDs erst jetzt erweitert?

DK: Warum eine der Kernaufgaben von ICANN, nämlich neue Namensräume (gTLDs) zu ermöglichen, so lange gedauert hat? Dazu gibt es viele, nicht immer schmeichelhafte Theorien. Wahrscheinlich hat es so lange gedauert, weil noch nie zuvor in der Geschichte so viele Stakeholder bei der Schaffung neuer Infrastrukturen mitgewirkt haben wie bei den neuen gTLDs. Auch das zählt zum Experiment ICANN.


6. Für die Durchführung der Erweiterung wurde das Trademark Clearinghouse (TMCH) errichtet, welches das Misstrauen von mehreren Organisationen für geistiges Eigentum erweckt hat. Was ist das TMCH und welche Funktionen und Ziele hat sie?

DK: Das Trademark Clearinghouse dient dem rein kommerziellen Schutz von Markeninhabern und wurde von diesen bei ICANN durchgesetzt. Das TMCH ermöglicht Markeninhabern die bevorrechtigte Registrierung von neuen Domains, z.B. www.siemens.shop oder www.google.web.


7. In den letzten Wochen hat der neue CEO und Präsident von ICANN, Fadi Chehadé, sich für ein offenes Internet und den Schutz der Gegenwärtigen Funktionen des Internets ausgesprochen. Wie kann ICANN für die Freiheit des Internets beitragen?

DK: Nur wenn ICANN weiterhin die zentrale Koordinierung von Domains und IP-Adressen innehat, sind die Grundvoraussetzungen für ein freies Internet gegeben. Wenn einzelne Länder diese von ICANN geschaffene Grundlage technisch, rechtlich oder politisch an ihren Grenzen aushebeln, dann kann selbst ICANN nichts dagegen unternehmen. Es kann kein Land gezwungen werden am freien Internet teilzunehmen.


8. Auch die Reformvorschläge der International Telecommunications Regulation (ITR) seitens mancher Mitglieder der Internationalen Telecommunications Union (ITU) wie China oder Russland wurde mit Unbehagen von ICANN betrachtet. Warum?

DK: Die ITU versucht mit ihren Vorschlägen auf die Dienstebene von ICANN vorzudringen und im Wettbewerb für die Verwaltung der Internet-Ressourcen zu punkten. Die Gründe liegen meiner Meinung nach in der zukünftig sich anbahnenden Bedeutungslosigkeit der ITU gegenüber ICANN und ihrem Multi-Stakeholder-Modell, das aus Sicht zahlreicher und wenig- demokratischer Staaten gefährlich für ihre Machtstrukturen ist.


9. ICANN hat in Sachen Cyber-Sicherheit das Blocking Usage Review Panel (BURP), auf Deutsch das Gutachtergremium für die Nutzung von Internet Blockaden, errichtet und gestern der Welt präsentiert. Zzgl. haben sie, fast von der Öffentlichkeit unbemerkt, dieGuideline for Coordinated Vulnerability Disclosure Reporting veröffentlicht, die Richtlinien für den koordinierten Report von Schwachstellen. Welche Funktionen im Bereich Cyber-Sicherheit besitzt ICANN?

DK: ICANN geht es bei diesem Report gemäß der eigenen Mission darum, die Sicherheit, Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Domain-Namen-Systems (DNS) jederzeit aufrecht zu erhalten und rechtzeitig auf identifizierte Bedrohungen reagieren zu können. Die Reichweite von ICANN ist dabei allerdings auf von ICANN kontrollierte Infrastrukturen beschränkt. ICANN ist damit nur insofern Cyberpolizei auf dem von ihr patrouillierten weltweiten Straßen. An den Grenzen zahlreicher Länder steht allerdings für ICANN ein Stoppschild.


10. Beim letzten ICANN Treffen im Toronto gab es Auseinandersetzungen hinsichtlich der Berücksichtigung von Datenschutzaspekte bei den Strafverfolgungsklausen in ihrem Vertragsentwurf. Worum ging es genau? Ist Datenschutz ein Aspekt, dass bei ICANN wenig berücksichtigt wurde?

DK: ICANN hat sich bislang nur mit den US-Vorgaben für den Datenschutz beschäftigt. Jetzt sollen im Rahmen von verpflichtenden neuen Verträgen für Registrar und Registries Regelungen zum Datenschutz, zur Vorratsdatenspeicherung und anderen sensiblen Bereichen eingeführt werden, die europaweit nationalen Recht und EU-Richtlinen klar widersprechen. Der Protest der EU ist bereits bei ICANN angekommen und ich erwarte, dass man sich zumindest teilweise europäischen und auch deutschen Normen beugen wird.


Dirk Krischenowski
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Dirk Krischenowski, Jahrgang 1965, ist Biochemiker und Wirtschaftswissenschaftler. Er sammelte Erfahrung in internationalen Managementpositionen in der Life-Science-Industrie bei Novartis, Sanofi-Aventis sowie Bertelsmann und Netdoctor. Er war Gastdozent am Institut of Electronic Business (UdK Berlin) sowie Mitglied des European Commission e-Business W@tch Advisory Boards. Dirk begründete im Jahr 2004 mit der Initiative für die Stadt-Top-Level-Domain .berlin einen weltweiten Trend zu regionalen Namensräumen und war damit auch Mitinitiator des Verfahrens für neue Top-Level-Domains bei ICANN. Er arbeitet heute in verschiedenen Arbeitsgruppen bei ICANN mit und ist zudem bei den GeoTLD-Projekten für .bayern, .hamburg und .köln involviert. Seit 2009 ist er zudem Vorstand bei ISOC.DE e.V., der deutschen Sektion der Internet Society ISOC, die die Verbreitung des Internets in Deutschland fördert. Seit 2006 ist Dirk Krischenowski Partner bei DOTZON und berät u.a. DAX-Unternehmen sowie Staaten, Regionen und Städten zu eigenen Top-Level-Domains. Daneben ist Dirk Autor zahlreicher Artikel zu neuen gTLDs und Sprecher bei z.B. den Vereinten Nationen, Europarat und der Bundesregierung.

3. Initiative

Interview von: Lorena Jaume-Palasí

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Autoren
Lorena Jaume-Palasi
Sebastian Haselbeck
Lorena Jaume-Palasi
Gordon Süß
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