Editorial des Herausgebers Wolfgang Kleinwächter zu MIND 3
Editorial des Herausgebers Wolfgang Kleinwächter zu MIND 3
Editorial
Wolfgang Kleinwächter
Freiheit ist ein uralter Menschheitstraum. In allen großen Revolutionen der Geschichte ging es auch immer um Freiheit, und hier insbesondere um die Meinungs-, Medien- und Informationsfreiheit. Das war in der französischen Revolution von 1789 nicht anders als bei den Leipziger Montagsdemonstrationen von 1989. Der erste Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung verbietet dem US Kongress, Gesetze zu verabschieden die „die Freiheit der Rede und die Freiheit der Presse“ einschränken. Und die 1. UN Vollversammlung 1946, ein Jahr nach dem Ende des 2. Weltkrieges, qualifizierte in ihrer Resolution 59 (I) das Recht auf Meinungsfreiheit als den „Eckstein aller Menschenrechte“. Aus der Sicht des Jahres 2012 mutet es geradezu prophetisch an wenn man den Text von Artikel 19 der 1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung über die Menschenrechte sich Wort für Wort auf der Zunge zergehen lässt:
„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“
Ein Vierteljahrhundert bevor Bob Kahn und Vint Cerf mit dem TCP/IP Protokoll die Möglichkeit schufen, tatsächlich Informationen „ohne Rücksicht auf Grenzen“ zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten, hatten die Mütter und Väter der UN Menschenrechtsdeklaration offenbar eine Ahnung, dass der Menschheit eine Informationsrevolution bevorsteht. 1948 steckte das Fernsehen in seinen Kinderschuhen. 2012 gibt es fünf Milliarden Menschen, die ein Mobiltelefon nutzen, zwei Milliarden sind davon schon online. Man braucht keine prophetischen Gaben um vorauszusagen, dass 2025 wohl nur noch Eremiten und Selbstisolierer keinen Zugang zum Internet haben und sich damit tatsächlich jedermann der Nutzung jenes 1948 formulierten Menschenrechts bedienen kann. Jede Freiheit, auch das wissen wir aus der Geschichte, geht einher mit Verantwortlichkeit. Es gibt keine Rechte ohne Pflichten und damit auch keine unbegrenzten Freiheiten. Die Freiheit des Einzelnen endet stets dort wo die Freiheit des Anderen beginnt. Und Freiheit des Denkens und der Meinung heißt auch immer Freiheit des Andersdenkenden und des Andersmeinenden. Das zu garantieren, dafür benötigt es das demokratisch legitimierte Recht, ein Recht das jedermann gleichermaßen schützt, dass die Ausübung der Freiheitsrechte garantiert, Grenzen dieser Ausübung der Meinungs-, Informations- und Kommunikationsfreiheit definiert, aber auch sicher stellt, dass solch legitimierte Grenzziehungen nicht missbraucht werden, um die deklarierte Freiheit wieder einzuschränken, um Meinungen zu unterdrücken, Zugang zu Information zu erschweren oder zu konditionieren, oder gar um ein Zensurregime einzuführen.
Das ist mitunter eine heikle Angelegenheit. Wenn schützenswerte Rechtsgüter aufeinanderprallen – die Reputation von Mr. X und die Meinungsfreiheit von Mr. Y – gilt es abzuwägen. Niemand würde auch Kinderpornographie unter den Schutz der Meinungsfreiheit stellen. Gerade deshalb müssen wir auch über die in einer demokratischen Gesellschaft legitimierten Grenzen dieser Freiheit sprechen, um zu garantieren, dass jedermann gleichermaßen seine Freiheitsrechte ausüben kann, dass aber jedermann auch gleichermaßen geschützt ist, der Starke wie der Schwache. Zwischen dem Starken und dem Schwachen, so hat es vor über 250 Jahren der französische Aufklärer und Philosoph Jean Baptiste Lacordaire auf den Punkt gebracht, ist es oft die Freiheit die unterdrückt, und das Recht das befreit. Das ist heute so aktuell wie damals.
Unsere politischen, kulturellen, sozialen, und menschlichen Erfahrungen verschwinden ja nicht wenn wir von der Offline in die Online Welt wechseln. Im Internet müssen wir die Rechte und Freiheiten nicht neu erfinden. Sie sind schon da. Wir müssen sie nur richtig verstehen und anwenden, und wir müssen sie verteidigen gegen diejenigen, die mit der neuen Technologie eine Möglichkeit sehen, ungeliebte Rechte und Freiheiten über Bord gehen zu lassen. Die vorliegende dritte Ausgabe von MIND, der Discussion Paper Series des Internet & Gesellschaft Co:llaboratory, widmet sich genau dieser Frage. Wenn wir akzeptieren, dass auch die Internetfreiheit Grenzen hat, müssen wir genauer hinschauen wie moderne Begrenzungsverfahren - Blocken oder Filtern, Blacklisten oder Whitelisten - funktionieren und vor allem, wie sie legitimiert sind. Diese Verfahren dürfen nicht nur sehr begrenzt zum Einsatz kommen, weil sie das Potential haben, die Freiheit als Regelfall zur Ausnahme zu machen, sondern sie müssen selbst rechtlich begrenzt und an externe, unabhängige Kontrollverfahren gebunden werden. Das Problem der „Schrankenschranke“, der Begrenzung für Begrenzungen, ist in der Rechtsphilosophie weitläufig erörtert. Prinzipen wie Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit, Einzelfallprüfung und in Betracht ziehen der konkreten Umstände sind probate Mittel um herauszufinden, wie weit eine Freiheitsbegrenzung gehen kann und wo sie umschlägt, und das eigentlich Ziel, die Freiheit zu schützen, beschädigt.
Gerade für das Internet, wo durch die Ent-Territorialisierung jetzt unterschiedliche historische und kulturelle Ansichten aufeinanderprallen, ist diese Frage von extremer Wichtigkeit. Wie oft werden heute Einschränkungen der Internetfreiheit damit begründet, um nationale Sicherheit, öffentliche Ordnung oder geistiges Eigentum zu schützen? Vage definierte Kategorien von schützenswerten Gütern werden genommen um politische und wirtschaftliche Partikularinteressen durchzusetzen.
Wer entscheidet eigentlich, welche Information die „nationale Sicherheit“ gefährdet, warum durch eine Meinungsäußerung die „öffentliche Ordnung“ gestört wird, oder wieso durch individuelle Kommunikation das System des Schutzes geistiger Eigentumsrechte eine Katastrophe auslöst? Die Regierung, ein Unternehmen, die betroffene Partei? Eine Lobbygruppe? Die Internet-Nutzer?
In einer demokratischen Gesellschaft ist es die neutrale dritte Partei, das unabhängige Gericht, dass in einem Streitfall zu prüfen hat, welches schützenswerte Rechtsgut in einem konkreten Fall Vorrang hat. Dennoch bleibt dies ein kontroverses Problem, was vor allem aus der Perspektive unterschiedlich verfasster Staaten sehr differenziert gesehen wird. Man kann das aber auch aus der Perspektive von verschiedenen Stakeholdern differenziert sehen. Parlamentarier und Regierungen haben da oft eine andere Ansicht als private Unternehmen, technische Experten oder die Zivilgesellschaft.
Das Multistakeholder Diskussionsmodell, dass MIND offeriert, gibt eine gute Gelegenheit, diese Frage aus den verschiedenen Perspektiven zu betrachten und weiter zu diskutieren. Es ist allein der offene und inklusive Dialog der die Tür öffnet um jenseits politisch-ideologischer Grabenkämpfe nachhaltige Lösungen zu finden, die von allen Stakeholdern akzeptiert werden können.
Wolfgang Kleinwächter | |
Prof. Wolfgang Kleinwächter ist Professor für Internet Politik und Regulierung an der Universität Aarhus. Er ist Persönlicher Berater des Vorsitzenden des UN Internet Governance Forum (IGF), Nitin Desai, Mitglied des Panels of High Level Advisers der Global Alliance for ICT& Development (GAID), Vorsitzender der Internet-Expertengruppe des Europarates und Council-Mitglied der International Association for Media and Communication Research (IAMCR). Professor Kleinwächter war und ist zudem als Experte in zahlreichen Beratungsgremien zum Thema Internet Governance tätig (u.a. ICANN, WSIS, IGC, WGIG, SIAP), ist Mitgründer der internationalen Sommerschule zu Internet Governance (ISSIG) und des Global Internet Governance Academic Network (GIGANET) sowie Autor zahlreicher Artikel und Bücher zu Internet Governance und Informationsgesellschaft. 1. Initiative | 2. Initiative | 5. Initiative | Ohu Global Internet Governance | Herausgeber von MIND. CoLab Profilseite |